Sie haben noch kein Login?

Klicken Sie hier um sich zu registrieren »


Wenn Sie bereits registriert sind - Login:




Lot 1070 - A180 Decorative Arts - Donnerstag, 30. März 2017, 10.00 Uhr

1 PAAR BOULLE-ENCOIGNUREN "AUX ESPAGNOLETTES",

Louis XV, von J. BAUMHAUER (Joseph Baumhauer, "ébéniste du Roi" um 1749), Paris um 1755.
Braunes Schildpatt ausserordentlich fein eingelegt mit Messingbeschläge in "première-partie"; Blumenblüten, Blätter, Voluten, Kartuschen und Zierfries. Viertelkreisrunder Korpus mit vorstehenden vorderen Eckstollen auf wellig ausgeschnittener Zarge mit kurzen, geschweiften Beinen. Gebauchte Front mit Zentraltüre unter 2 nebeneinander liegenden Schubladen. Ausserordentlich reiche, matt- und glanzvergoldete Bronzebeschläge und -applikationen in Form von weiblichen Büsten, Puttenbüsten, Maskaronen, Muscheln, Mäanderband und Zierfries - die Büsten und die Zentralkartusche im 19. Jh. ersetzt. Ersetzte und profilierte "Portor"-Platte.
78x55x94 cm.

Provenienz:
- Womöglich ehemals Sammlung Michel Bouret, nach 1778.
- Auktion Drouot Paris, 18.12.1968 (Katalognr. 152).
- Ségoura, Paris.
- Hochbedeutende Privatsammlung, Genf.

Mit Gutachten des Cabinet Etienne/Molinier, Paris 2017.

Das hier angebotene Paar ist abgebildet und ausführlich beschrieben von J.D. Augarde, Joseph Baumhauer, Ebéniste privilégié du Roi, in: L'Estampille, Juni 1987; S. 15-45.

Im Nachlassinventar vom Financier M. Bouret, erstellt am 22.6.1778, wurden zwei Encoignuren mit Boulle-Marketerie erwähnt; "deux encoignures de marqueterie ouvrage de Boule (sic), orné de bronze doré d'or moulu et a dessus de marbre vert campan". Der Hinweis auf Boulle meinte nicht die eigentliche Urheberschaft der Möbel, sondern die Marketerie. Von A.C. Boulle ist nur ein Paar Encoignuren mit dieser Marketerie bekannt, welches für die Menagerie von Versailles gefertigt wurde und heute Teil der Sammlungen vom Victoria & Albert Museum in London ist. Es erscheint deshalb sinnvoll, das hier angebotene Paar als dasjenige aus dem Inventar des wichtigen Financiers zu vermuten.

Aus der Werkstatt von J. Baumhauer sind fünf Möbel mit Metalleinlagen quellenmässig belegt. Das hier angebotene Paar gilt als das chronologisch erste, gefolgt von einem Paar Anrichten sowie weiteren Paaren für den Duc d'Aumont und den Händler C. Julliot-Vaudreuil, teils in "contre-partie". Diese Möbel gelten als Beleg, dass die Beliebtheit der Boulle-Marketerie durch das ganze 18. Jahrhundert erhalten blieb.

Das Inventar von der Werkstatt J. Baumhauers erwähnt keine Bronzen - es kann somit angenommen werden, dass er diese von einer auswärtigen Werkstatt bezog; die Quellen erwähnen T. Oblet (Thomas Oblet, Meister ca. 1740), der mit J.J. de St. Germain zusammenarbeitete oder den Ziselierer J. Piault. Zudem wird vermutet, dass J. Baumhauer diverse Bronzen aus der Werkstatt des P. Latz (Pierre Latz, Meister um 1740) nach dessen Tod im Jahre 1756 erwarb. Als Beleg wird auf eine Kommode hingewiesen, welche bei Philipps/de Pury/Luxembourg am 5.12.2001 (Katalognr. 43) verkauft wurde, deren Eckbronzen mit weiblichen Büsten nahezu identisch sind mit den Bronzen des hier angebotenen Paares. Identische oder sehr ähnliche Bronzebeschläge mit Frauenbüsten finden sich an diversen, hochbedeutenden Möbeln; das A.C. Boulle zugeschriebene Bureau-Plat für den Electeur de Bavière, heute Teil der Sammlungen des Musée du Louvre, ein B. Van Risenburgh zugeschriebenes Bureau-Plat aus der Wallace Collection in London sowie eine Kommode aus dem Toledo Museum of Art.

Diverse von J. Baumhauer signierte Encoignuren sind bekannt; ein Paar, eingelegt mit Amaranth und im neoklassizistischen Stil, wurde bei Christie's Monaco am 20.6.1994 (Katalognr. 216) verkauft. Ein weiteres Paar mit Lackpanneaux im "goût chinois" und gefertigt für A. Blondel de Gagny ist abgebildet in: L'Estampille/L'Objet d'Art 204 (1987); S. 26f. Als weitere Möbel von J. Baumhauer mit Boulle-Marketerie sollen folgende erwähnt werden; zwei Kabinette mit "Pietra Dura"-Einlagen, gefertigt für den Duc d'Aumont, heute Teil der Sammlungen von Versailles, ein Sekretär, gefertigt für Randon de Boisset in Versailles, ein Paar tiefe Bibliotheken - heute Teil der Sammlungen der Wallace Collection in London.

Die Anbringung von Bronzebeschlägen im 19. Jahrhundert für die "espagnolettes" und der Zentralkartusche entspricht dem Geschmack der damaligen Zeit, die Ikonographie der Epoche Louis XIV wieder aufleben zu lassen. Die Qualität dieser Bronzen weist auf die bedeutendsten Werkstätten der Epoche hin.

J. Baumhauer, genannt Joseph, gehört zu den wichtigsten Ebenisten der Louis-XV-Epoche. Seine Werke sind mit jenen von Bernard II Van Risenburgh puncto Qualität durchaus vergleichbar. Er wurde in Deutschland geboren und reiste als junger Mann nach Paris, wo er lange Zeit als Mitarbeiter seines Landsmannes François Reizell tätig war und 1745 heiratete. 1767 erhielt er "le brevet d'ouvrier privilégié du Roi". Dieser Titel brachte ihm fast so viele Rechte und Privilegien ein wie die Meisterwürde. Ende der 1760er Jahre eröffnete er in der Rue du Faubourg-Saint-Antoine sein eigenes Atelier "A la Boule d'or". Da die Franzosen mit der Aussprache seines deutschen Namens Mühe hatten, beschloss J. Baumhauer, seine Werke nur mit dem Vornamen zu signieren, verziert mit zwei Lilien. Diese Lilien findet man oft in Stempeln von Ebenisten, die "privilèges royals" genossen.
Josephs Louis-XV-Möbel werden durch eine schlichte Formgebung charakterisiert, die mit dem Reichtum und der Pracht der Dekoration kontrastieren. Die Kommoden, Encoignuren und Bureau-Plats, aus denen seine Produktion fast ausschliesslich bestand, weisen langgezogene Linien, wenig ausgeprägte Rundungen, perfekte Proportionen und eine Eleganz auf, die man nur selten findet. Joseph wählte, wie Bernard II Van Risenburgh, nur die besten und edelsten Materialien für seine Arbeiten aus, er schmückte sie mit Marketerien aus dunkel gefärbtem "bois de bout" und Rosenholz, mit Lack "d'Extrême-Orient" und Porzellan-Plaketten aus Sèvres.

Lit.: P. Kjellberg, Le mobilier français du XVIIIème siècle, Paris 1989; S. 450ff. (biogr. Angaben). D. Alcouffe, Furniture Collection in the Louvre, Paris 1994; I, S. 97 (Tafel 27). A. Pradère, Die Kunst des französischen Möbels, München 1990; S. 231-242. P. Hughes, The Wallace Collection, London 1996; S. 775. F.J.B. Watson, Waddesdon, The Manoir, The Collections, London 1959; S. 29.

CHF 150 000 / 250 000 | (€ 154 640 / 257 730)

Verkauft für CHF 180 500 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr