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Lot 3445 - A201 PostWar & Contemporary - Donnerstag, 30. Juni 2022, 17.00 Uhr

MIRIAM CAHN

(Basel 1949–lebt und arbeitet in Basel)
befragen meines rückens (bl.arb.) / unklar. 1995/96.
Öl auf Leinwand.
Auf dem Keilrahmen monogrammiert: M, sowie betitelt und datiert: befragen meines rückens (bl.arb.) 30.10.95 / nov 1995 Unklar 13 3 96.
50,5 × 45,8 cm.

Provenienz:
- Stampa Galerie, Basel.
- Vom heutigen Besitzer 1999 von obiger Galerie erworben, seitdem Sammlung Schweiz.

Ausstellung: Basel 2000, Kunsthalle Basel. Miriam Cahn. Rot Grau. 28. Januar - 30. April, Nr. 13 (verso mit dem Etikett).

„Ich finde es ja eben viel interessanter, dass man eben nicht sofort begreift, sondern das ist ein Angebot. Im Kopf des Betreffenden oder der Betreffenden bildet sich hoffentlich dann ein eigenes Bild, das zum Weiterdenken oder -fühlen animiert. Wenn das passiert, ist es eben schon toll.“ Miriam Cahn

Miriam Cahn wird 1949 in Basel geboren, nachdem ihre Eltern, ihr Vater ist Jude, vor dem NS-Regime in die Schweiz geflohen sind. Ihre Mutter, die an der École des Beaux-Arts in Paris studiert hat und selbst als Künstlerin arbeitet, unterrichtet ihre Tochter schon früh im Zeichnen. Zwischen 1968 und 1973 wird Miriam Cahn in der Grafikklasse der Kunstgewerbeschule in Basel ausgebildet. Sie verlässt ihr Elternhaus und unternimmt die erste von mehreren Reisen nach Südamerika. Nach ihrer Rückkehr arbeitet sie als wissenschaftliche Zeichnerin und gibt Zeichenunterricht. Sie beginnt, sich in der Anti-Atomkraft- sowie der Frauenbewegung zu engagieren und nimmt 1977 als Delegierte am Friedenskongress in Warschau teil. 1979/80 wird sie in Basel zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem sie an der Betonmauer und den -pfeilern der Nordtangente Kohlezeichnungen und den Schriftzug „mein frausein ist mein öffentlicher teil“ anbringt. 1982 wird Miriam Cahn von Rudi Fuchs zur documenta 7 eingeladen, die sie aber kurzfristig absagt, nachdem in ihren Ausstellungsraum ein zweiter Künstler kommen soll. In den kommenden Jahren entwickelt die Künstlerin neue Werkzyklen, die auch immer Bezug auf die weltpolitische Lage nehmen, denn wie Jana Baumann beschreibt, nimmt Cahn aktiv an politischen und gesellschaftlichen Diskursen teil: „In Zeiten von erneut aufflammendem Nationalismus, reaktionärem Konservatismus, Sexismus, Populismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und von Verachtung des Pluralismus hat Cahns künstlerisches Werk nicht nur enorm an Brisanz gewonnen, sondern ist dessen zentrale Bedeutung für ein radikal erweitertes Verständnis der Rolle der Frau in der Kunstgeschichtsschreibung unbestreitbar geworden.“ (zit. Jana Baumann, in Ausst.Kat. München 2019, Miriam Cahn. Ich als Mensch. Haus der Kunst, 12. Juli – 27. Oktober, S. 8).

Das Übermalen ist ein wichtiger Bestandteil des künstlerischen Prozesses ihrer Gemälde, denn Cahn korrigiert keine Bilder, sie übermalt und macht diesen Prozess durch die doppelte Titelgebung, wie auch in unserem Fall, für den Betrachter sichtbar – „befragen meines rückens (bl.arb.) / unklar“- Dieses Vorgehen ermöglicht allein die Ölmalerei, und Cahn nutzt es auf sehr effektvolle Weise, wie Burcu Dogramaci erklärt: „Ölfarbe ermöglicht, dass Kompositionen grundlegend verändert werden können, was bedeutet, dass Gedachtes und Gemaltes sich in den Lagen unter dem Sichtbaren befinden kann. Insofern zeigt uns Ölmalerei ein Gesicht und eine Oberfläche, die aber nicht unweigerlich mit dem darunter Befindlichen korrespondieren muss. Unter einem Körper, einem Antlitz kann sich eine Szenerie oder Welt befinden, die noch in der Erinnerung der Künstlerin selbst gegenwärtig ist – oder aber im Röntgenbild, das ein Werk durchleuchten und seine Arbeitsprozesse offenlegen kann. “ (ebenda, S. 20).

Zur Seite gedreht schaut ein Halbkörper-Akt aus dem Bild, leicht am Betrachter vorbei. Während der Körper in kräftigem Gelb mit roten Akzenten am Hals und den Brustwarzen erstrahlt, ist der abstrahierte Kopf gräulich-blau gehalten. Die Augen sind schwarze Löcher, nur der Mund leuchtet rot. Typisch für Cahns Darstellungen ist die hier Dargestellte alterslos, Gesichtszüge und Haare sind reduziert, fast schemenhaft und gegen den dunklen Hintergrund in Auflösung begriffen. Unsere Figur ist in den Vordergrund gezogen und scheint zu schweben, trotzdem aber wird man aus ihrer Haltung nicht schlau. Nacktheit bedeutet bei Cahn immer das nackte Leben – sowohl die tatsächliche Angst, um das eigene Leben als auch die Grenze zwischen Leben und Sterben und Geburt und Tod.

Der regelmässige Betrachter von Cahns Werken ist auf der emotionalen Ebene einiges gewöhnt: explizite Gewalt von Männern an Frauen, aber auch umgekehrt, Erotik, die oftmals zur Pornografie wird oder immense Wut. Er stand aber auch schon vor Werken wie „befragen meines rückens. unklar“, die in der Darstellung der Gefühle ausserordentlich zurückhaltend sind, bei denen man sich fragt, was in der Dargestellten vor sich geht. Auf diese Weise erzeugt die Künstlerin bei ihrem Publikum eine ständige, intensive Auseinandersetzung mit ihrer Kunst. Gleichzeitig muss man aber darauf vorbereitet sein, dass der Erkenntnisgewinn auch Folgen hat und auf uns zurückfällt. Cahn will keine Betulichkeit, sondern fordert vom Betrachter Mut, sich bis zum Ende, egal ob angenehm oder schmerzhaft, mit den Themen auseinanderzusetzen.

CHF 18 000 / 28 000 | (€ 18 560 / 28 870)

Verkauft für CHF 85 700 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr