Sie haben noch kein Login?

Klicken Sie hier um sich zu registrieren »


Wenn Sie bereits registriert sind - Login:




Lot 129* - A174 Sammlung italienische Buchmalerei - Freitag, 18. September 2015, 13.30 Uhr

GIOVANNI DI PAOLO


Provenienz: - Lecceto, Eremo Agostiniano. - 1988 London, Schuster Gallery. - 1990 Schweizer Privatbesitz. - 1995 Akron (OH), Bruce Ferrini. - Seit 1996 im heutigen Besitz. Ausstellung: - Lugano, Fondazione Thyssen-Bornemisza,Villa Favorita, 7. April-30. Juni 1991, Nr. 80. Bibliographie: - Gaudenz Freuler, Manifestatori dell cose mircolose. Arte Italiana del 300 e del 400 da collezioni in Svizzera e Liechtenstein (Ausstellungskatalog Lugano, Fondazione Thyssen) Einsiedeln 1991, S. 210-211. - Milvia Bollati, in: Filippo Todini (Hrsg.) Una collezione di Miniature Italiane, Dal Duecento al Cinquecento, Mailand 1993, S. 51-55. - Diess., La Divina Commedia di Alfonso d' Aragona Re di Napoli, Modena 2006, S. 106. - Friedrich G. Zeileis, Più ridon le carte (3.ed.), Rauris 2014, S. 256-257. Die in leuchtend bunten Farben gehaltene Initiale V leitet die Sequenz für das Osterfest ein: Victime pascali laudes immolent christiani... In einem von Goldglanz mystisch verklärten Bildraum erscheint auf einem von einem goldgewirkten roten Brokattuch behangenen Altar das Lammgottes mit dem wehenden Banner der Auferstehung. Das hier vorgestellte, im englischen Handel wiederentdeckte Blatt konnte ich 1991 anlässlich seiner Präsentation in der von der Stiftung Thyssen Bornemisza in der Villa Favorita in Lugano gezeigten Ausstellung zur frühen italienischen Kunst in der Schweiz einer ersten Analyse unterziehen (Freuler 1991). Damals glaubte ich das äusserst raffiniert gemalte Blatt dem florentinischen Buchmaler Don Silvestro dei Gherarducci zuschreiben zu können. Doch schon bald war mir klar, dass es sich in Wirklichkeit um ein einige Jahrzehnte später entstandenes sienesisches Werk des Giovanni di Paolo handeln musste, was ich dem damaligen Besitzer des schönen Blattes kundtat. Basis meiner späteren Zuweisung war zunächst der direkte Bezug zu einer einst von Nella Longari in London (Sotheby's 7. Dezember 1982, lot 10) angekauften Chorbuchseite mit der Darstellung der Exequien eines Augustiners, die einwandfrei dem Sienesen Giovanni di Paolo zugewiesen werden konnte (Bollati 1993, Abb.1). Das übereinstimmende Konzept der in satten Farben - hauptsächlich blau und rot - gehaltenen Initialen mit sich lebhaft windenden Blattranken und filigranen Ausläufern sowie die einander genauestens entsprechenden Dimensionen der Blätter, liessen keinen Zweifel über ihre gemeinsame Provenienz aus einem aufgelösten Sequentiar mehr offen. Ein weiteres, sowohl konzeptionell als auch bezüglich der Dimensionen und Stil völlig passendes Blatt mit der Sequenz zu den Marienfesten und einer entsprechenden Initiale A (Abb.4) sowie zwei weitere grosse ornamentale Initialen gleichen Stils (Abb.2,3) konnte ich in englischem Besitz orten, wobei sich die Serie der Fragmente aus dem in Rede stehenden Sequentiar um drei weitere Elemente angereichert hatte. Der bereits von Milvia Bollati (1993) zum Blatt der Sammlung Longari geäusserte Verdacht einer Provenienz aus dem Haus der Augustinereremiten in Lecceto bei Siena erhärtet sich heute in Kenntnis der weiteren Bruchstücke; nicht allein wegen Giovanni di Paolos Autorschaft, die an verschiedenen Illustration zweier weiterer Bände der berühmten, bis heute 20 Bände umfassenden Chorbuchserie von Lecceto nachweisbar ist (Siena Biblioteca Comunale degli Intronati, Cod G.I.8, Cod. H.I.2). Bekräftigt wird diese These auch durch die praktisch identische Dimension unserer Blätter mit der Grösse der Leccetaner Chorbücher und in erster Linie durch eine singuläre Eigenheit der Seitenkonzeption, die auf das gleiche Skriptorium, sprich den gleichen Schreiber, hinweisen, das für die Niederschrift der besagten Chorbücher zuständig war. Seit Andrea di Bartolos (für diesen Künstler s. Kat. 128) spätem, vermutlich 1415-1420 für Lecceto illuminierten Graduale (Siena Biblioteca Comunale degli Intronati G.I.14) und dem etwa zeitgleich entstandenen Graduale des sogenannten Maestro dell' Innario (Siena Biblioteca Comunale degli Intronati G.I.7) kann innerhalb der gegen 1390 in Angriff genommenen Produktion der Leccetaner Chorbücher-Produktion eine Änderung des Seitenkonzepts festgestellt werden. Sie betrifft eine Eigentümlichkeit des Schriftspiegels mit den Musiknoten, der, beginnend mit den genannten Bänden, erstmals rundum von einer Doppellinie in roter Tinte rahmend eingefasst ist - ein Merkmal, das so die späteren Chorbücher von Lecceto prägen wird. Diese spezifisch auf die Chorbücher von Lecceto bezogene Praxis ist auch auf den hier in Rede stehenden Fragmenten des Augustiner Sequentiars festzustellen. Damit erhalten die fünf hier vorgestellten Fragmente, insbesondere das hier angebotene prächtige Blatt, eine zusätzliche Bedeutung, nämlich als Beleg für die Existenz eines weiteren, noch nicht identifizierten auseinandergebrochenen Chorbuchs der berühmten Chorbuchserie für Lecceto. Für die chronologische Bestimmung der hier in Rede stehenden fünf Sequentiar-Fragmente liefert das 1442 entstandene von Giovanni di Paolo illuminierte Antiphonar von Lecceto (Cod.G.I.8) einen wichtigen Anhaltspunkt. Gegenüber unseren Fragmenten sind hier ein weiter entwickelter Figurenstil und ein opulenterer Initialschmuck zu erkennen, der von den Dekorationsprinzipien der an den Fürstenhöfen der norditalienischen Frührenaissance tätigen Buchmaler inspiriert ist. Im Gegensatz dazu erscheint der hier erkennbare Initialschmuck in einer Form, die sich unmittelbar aus den Prinzipien von Andrea di Bartolos Initialen des Leccetaner Chorbuchs Cod.G.I.14 von ca. 1415-1420 entwickelt hat. Diese Prinzipien sind auch noch in Giovanni di Paolos Initialen des Cod. H.I 2 zu erkennen. Damit bestehen gute Gründe, dass die fünf Fragmente, einschliesslich des Blattes mit dem Osterlamm, vor 1442, vermutlich zwischen 1430 und 1435, zu Giovanni di Paolos bester Zeit also, entstanden sind. Dieses Postulat kann über den Figurenstil des Blattes aus der Sammlung Longari überprüft und bestätigt werden, der unübersehbare Übereinstimmungen mit Giovanni di Paolos feingliedrigen, lebhaften Akteuren der Gemälde aus den 1430er Jahren, namentlich dessen Predellenserie mit Szenen der Passion Christi (Baltimore Walters Art Gallery, Vatikan, Vatikanische Museen, Altenburg Lindenau Museum und Philadelphia Johnson collection, vgl. Carl B. Strehlke, Italian paintings 1250-1450 in the John G. Johnson Collection and the Philadelphia Museum of Art, Philadelphia 2004, S. 169 ff.) erkennen lässt. Damit stehen wir vermutlich vor den frühesten Erzeugnissen von Giovanni di Paolos Buchkunst. Diese Aktivität sollte im Vergleich zu seinem reichen, jahrzehntelangen Wirken als Tafelmaler und Freskant keine blosse Nebenbeschäftigung sein, denn wie es scheint, knüpfte er an die gefeierten sienesischen Buchmaler der vorhergehenden Generation des späten 14. Jahrhunderts an und führte diese grosse Tradition zusammen mit seinem Zeitgenossen Sano di Pietro (Kat. 131) weiter. Seine grösste Anerkennung als Buchmaler erhielt Giovanni di Paolo gegen 1445 durch den prestigeträchtigen Auftrag, an der Illustration der prächtigen Dante-Ausgabe für König Alfonso d'Aragon (1398-1458) mitzuwirken. Dem sienesischen Künstler wurde in diesem heute in der British Library (MS Yates Thompson 38) befindlichen Manuskript von Dantes Divina Commedia die Illuminierung der dreiunddreissig "Canti" des Paradiso zugewiesen, für die er knapp siebzig ausserordentlich inspirierte Bilder von höchster Poesie malte.

CHF 12 000 / 18 000 | (€ 12 370 / 18 560)

Verkauft für CHF 18 500 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr