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Lot 1574 - A192 Sammlung Müller-Frei - Dienstag, 16. Juni 2020, 14.00 Uhr

SEHR FEINE UND BEDEUTENDE LACKKOMMODE

Transition. Frankreich, Paris, circa 1770. Signiert Léonard Boudin (1735-1807). Meister ab 1761. Mit Pariser Innungsstempel, dem JME versehen.
Holz schwarz gelackt in Pariser Vernis sowie mit vergoldeten Kanneluren und Profilen "en trompe l'oeuil". Rechteckiger Korpus mit gerundeten vorderen Ecken auf ausgeschnittener Zarge und geschweiften Beinen. Die Front mit 2 Schubladen ohne Traverse, belegt mit drei chinesischen Lackpaneelen, dekoriert mit weiten Parklandschaften, umrahmt von vergoldeten Bronzefassungen. Die Schmalseiten in gleicher Manier gestaltet und zu den hinteren Eckstollen leicht ausschwingend. Reiche Bronzebeschläge in Form von Zierfriesen, Lorbeergirlanden und Sabots. Umlaufendes Zierfries mit Zopfband. Escalettes alpha-Marmorplatte. Spätere Schlösser.
94 x 130 x 65 cm.

Restauriert. Kleinere Fehlstellen.

Provenienz:
- Aus altem Schweizer Privatbesitz stammend
- Galerie Römer, Zürich

Unter den chinesischen Kunstobjekten, welche bereits im 15. und 16. Jh. über die spanischen und portugiesischen Entdecker und Kaufleute nach Europa gelangten, sorgten insbesondere die Objekte aus Porzellan und Lack für Aufsehen und Bewunderung, da sie in Europa zu jener Zeit nicht herstellbar waren. Während der Durchbruch zur Herstellung von Porzellan in Europa erst 1710 in Meissen gelang, gab es bereits ab dem 15. Jh. erste europäische Lackerzeugnisse. Allerdings kamen diese in Qualität und Dauerhaftigkeit nicht an die asiatischen Lacke heran. Der Firnis trübte sich relativ rasch ein und wurde brüchig.

Den Grundstoff für den Lack bildet der Saft des Lackbaumes, den es nur in China, Japan und Korea gab. Sowohl Versuche, die Bäume in Europa anzupflanzen wie auch den Saft des Baumes nach Europa zu bringen scheiterten, da der Saft die Seereise nach Europa nicht überstand. Die ältesten Lackarbeiten stammen aus China und wurden 1300 v. Chr. gefertigt. Im 9. Jahrhundert entwickelten japanische Künstler neue Techniken: Sie streuten Gold- und Silberstaub in den Lack, woraus sog. Streubilder (Maki-E) entstanden. Später wurden die Lackarbeiten dann auch durch Schnitzerei, Bemalung, Gravierung und Intarsierung veredelt. Bei der Herstellung von Dekorationen für Möbel und Ähnliches wurden bis zu 40 hauchdünne Schichten Lack übereinander aufgetragen und poliert. Der so entstandene Lack war Wasser und Säure resistent, auch kochendes Wasser konnte ihm nichts anhaben.

An den europäischen Höfen entwickelte sich ab dem 17. Jh. eine eigentliche Chinamode. Kunsterzeugnisse aus Japan und China sind in dieser Zeit wesentliche Bestandteile der höfischen Sammlungen in Holland, England und Frankreich. Besonders gefragt bei den Lackarbeiten waren Schreibkabinette, Truhen und Kästen, die von der Englischen Ostindischen Gesellschaft insbesondere aus Japan und ab 1632 aus China eingeführt wurden.
Auch Louis XIV kaufte für die Erweiterung von Schloss Versailles zahlreiche chinesische Porzellane, Seidenstoffe und Lackmöbel, die er nicht als Kabinettstücke verwahrte sondern in die Einrichtung integrierte. Diese neue Mode verbreitete sich schnell in der höheren Gesellschaft; ein beachtlicher Handel entstand Ende des 17. Jh., der die Erzeugnisse hauptsächlich in Holland beschaffte. Auch wurden Lackarbeiten direkt in China in Auftrag gegeben und nach Europa gebracht.

Obschon Quellen bedeutende frühe Lacksammlungen in Frankreich bezeugen, sind im Vergleich mit anderen europäischen Ländern relativ wenige fernöstliche Lackmöbel erhalten geblieben. Hingegen finden sich relativ häufig Möbel im Stil Louis XIV bis Louis XVI, welche ausgeschnittene Lackpanneaus integrieren. Man kann vermuten, dass Franzosen nach dem Auslaufen der Mode ohne sentimentalen Hang zur Aufbewahrung der altmodisch gewordenen Möbel à la chinoise, die Stücke auseinandernehmen und in à la française umarbeiten liessen. Einzelne Paneele von asiatischen Möbeln wurden entfernt und im neuen französischen Stil integriert.

L. Boudin führte sein Atelier in der Rue Traversière in Paris, wo er anfangs für den berühmten P. Migeon arbeitete. Die Quellen weisen vor allem auf Kommoden und Schminkmöbel mit Blumenmarketerie und Lackpanneaux hin. Der ab ca. 1760 immer grösser werdende Kundenkreis führte zu einer Steigerung des Auftragsvolumens, das Boudin nur in Zusammenarbeit mit bedeutenden "confrères" bewältigen konnte, wie zum Beispiel mit C. Topino, P. Denizot, P. Evald oder F. Gilbert. Dadurch wurden die Möbel oft mit zwei oder gar keinen Signaturen versehen. Einige unsignierte Stücke erlauben dennoch eine Zuschreibung an L. Boudin: Perfekte Verarbeitung, die Ausgewogenheit der Proportionen, ausserordentlich feine Bronzebeschläge und -sabots und zeitlose Eleganz sind Markenzeichen dieses berühmten Ebenisten.

Zwei in der Form sehr ähnliche Transition Kommoden von Léonard Boudin wurden verkauft bei Sotheby's London 1985 bzw. im Pariser Kunsthandel 1987. (Abbildungen bei P. Kjellberg: Paris 1989, S. 96 und 97). Die eine ist in Satiné furniert, weist aber sowohl auf der Front als auch auf den Seiten die gleichen Reserven auf, die durch Bronzestäbe abgesetzt werden. Auch das Motiv des eingelassenen Bronzefrieses, diesmal in Form eines Wellenmäanders ist identisch.
Die andere Kommode in ähnlicher Form ist mit reichen Blumenbouquets marketiert, wobei auch hier die Feldeinteilung identisch ist. (P. Kjellberg, Le mobilier français du XVIIIe siècle, Paris 1989; S. 86-98 (Abb. S. 96 und 97)).

Eine identische Lackkommode von Léonard Boudin fand sich im Pariser Kunsthandel und dürfte ursprünglich als Pendant zu der hier beschriebenen Kommode entstanden sein.

CHF 45 000 / 75 000 | (€ 46 390 / 77 320)

Verkauft für CHF 49 100 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr