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Lot 1202 - A192 Decorative Arts - Donnerstag, 18. Juni 2020, 14.00 Uhr

OKTOGONALE SCHATULLE MIT MIKROMOSAIK-EINLAGEN,

Italien, Rom um 1870. Von Augusto Castellani (1829-1914).
Messing. Achteckige Dose mit Perlstabdekor auf gequetschten Füssen und mit sich nach oben verjüngendem Klappdeckel. Die Wandungen und der Deckel mit 17 Mikromosaikkartuschen in der Art der Antike; Darstellungen von wilden Tieren, Medusahaupt und Theatermasken. Innen mit violettem Velours ausgeschlagen.
20 x 20 x 16,5 cm.

Der Entwurf dieser mit antikisierenden Motiven gefassten Mikromosaik-Schatulle stammt vom römischen Juwelierkünstler Augusto Castellani um 1870. Bereits zu dessen Lebzeiten wird seine Kreation vom Autor Alfonso Sartirana in seinem Artikel über das Atelier Castellani in höchsten Tönen gerühmt (Vgl. Arte in Italia, 1870). Die im Artikel betitelte cista muliebre (Damenschatulle) illustriert deren wichtigsten Spezifika (Abb. 1, Sartirana, 1870, S. 61). Darauf zu erkennen ist das Haupt der Medusa, die Theatermasken und die verschiedenen im Stile der römischen Antike gestalteten Tiere. Augusto Castellani, von Sartirana lobpreisend primato fra gli orefici italiani (der Ranghöchste unter den italienischen Goldschmieden) genannt, übernimmt im Jahre 1865 die vom Vater Fortunato Castellani, gegründete Werkstatt, just zu jener Zeit, in der die italienische Mikromosaik-Produktion eine neue Blüte und Glanzzeit erlebt.

Der achtkantige Schatullendeckel in Form eines Domes erinnert an oktogonale Medaillons römischer Mosaikböden der Antike. Castellanis antiker Motivfundus muss eher als Neuinterpretationen und weniger als treue Kopie eines antiken Modells bewertet werden (Rudoe, 2004, S. 174). Die acht trapezoiden Bildflächen des Domes repräsentieren jagende und fliehende Tiere (Raubkatzen, Jagdhund, Hirsch, Geissbock und Wildschwein), welche rund um das zentrale Gorgonenhaupt arrangiert sind. Die vorliegende Medusa ist identisch mit einer von Castellani entworfenen Brosche, welche sich in einer auserlesenen Privatsammlung befindet (Abb. 2, Rudoe, 2004, S. 48). Die rechteckigen Seitentafeln der Schatulle zeigen Theatermasken ebenfalls im Gusto römischer Villen-und Thermenmoisaiken. Rudoe stellt in ihren Untersuchungen fest, dass die gleichen Theatermasken an den Treppenstufen der Piazza Trevi, dort wo sich das Atelier Castellani ab 1869 befindet, sichtbar waren.

Eine andere Schatulle, wiederum identisch zu der unsrigen, ist zweifellos eine Zeugin der wichtigsten Auftragsarbeit Augusto Castellanis. Es handelt sich hierbei um eine Schmuckschatulle aus dem Jahre 1872, das als Behälter für das sogenannte " karolingische " Ensemble fungierte, welches vom Kronprinzen Umberto I von Italien (1844-1900) und seiner Gattin Margarethe von Italien (1851-1926) der preussischen Prinzessin Viktoria (1840-1901) zur Geburt ihrer Tochter Margarethe von Preussen (1872-1954) geschenkt wird (Abb. 3, Rudoe, 2010, S. 417).
Beeinflusst durch vorchristliche und byzantinische Kirchenmodelle, brechen die Kreationen des Ateliers Castellani mit dem vorherrschenden naturalistischen Kanon des italienischen Mikromosaiks der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert. Anstelle von romantisierenden Landschaften und anderen Modeerscheinungen jener Epoche treten bei Castellani vermehrt wieder christlich-religiöse Motive wie das Lamm, der Fisch, die Friedenstaube oder griechisch-römische Inschriften in den Vordergrund. Von den archäologischen Wiederentdeckungen antiker Stätten stark geprägt, beinhaltet die hauseigene Schmuck-und Goldsammlung der Familie Castellani nebst zeitgenössischer neo-antiken Stücke tatsächlich originale Antiquitäten, welche heute im British Museum in London und im Louvre Paris konserviert sind.

An der Spitze der Mosaikkünstler im Hause Castellani befindet sich Luigi Podio (aktiv 1851-1888). Als veritabler Schmuckarchäologe verteidigt der Handwerker die Entwürfe des Ateliers Castellani vor anachronistischen Kontaminierungen. Die intendierten Unregelmässigkeiten auf der Mosaikoberfläche bezeugen auch an unserer Schatulle den Willen der Macher, die technische Tradition der Mosaikkunst zu respektieren. Dank dieser Irregularität wird das Licht an den Mosaiksteinchen gebrochen, um so ein gewolltes Lichtspektakel zu provozieren.

Vergleichende Literatur:
- Alfonso di Sartirana, "Arte applicata all'industria: oreficerie della Fabbrica Castellani in Roma", in "L'Arte in Italia", Torino- Napoli, 1870, S. 60-62
- Austellung Katalog von Susan Weber Soros und Stefanie Walker, "Castellani and Italian Archaeological Jewelry" (The Bard Graduate Center for Studies in the Decorative Arts, Design and Culture, New York, 18.11.2004-06.02.2005), Yale Universtity Press, New Haven and London, 2004, S. 48 und 173-174
-Judy Rudoe, "The Castellani and the Italian Risorgimento", in Charlotte Gere und Judy Rudoe, "Jewellery in the Age of Queen Victoria. A mirror to the world", The British Museum, 2010, S. 398-425

CHF 12 000 / 18 000 | (€ 12 370 / 18 560)

Verkauft für CHF 156 460 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr