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Lot 501 - A192 Buchmalerei & Autographen - Montag, 15. Juni 2020, 16.00 Uhr

Anonymer böhmischer Buchmaler.

Blatt aus einem Antiphonar mit der Bildinitiale H mit Darstellung der Geburt Christi und 4 kleinen Initialen. Aquarell, Gouache, Feder und Goldhöhung mit lateinischer Handschrift auf Pergament, doppelseitig beschrieben.
Böhmen, ca. 1370-80. Initiale 10 x 7 cm; Schriftspiegel 35 x 20 cm; Blattgrösse 47,5 x 32 cm. 18 Zeilen und Noten. Textura in schwarzbrauner Tinte, Quadratnoten jeweils auf 4 roten Linien. Unter Passepartout, gerahmt (Rahmen 62 x 46 cm).

Text: "Hodie nobis caelorum rex de Virgine nascere..." (Responsorium, 1. Noct, zum Weihnachtsfest).

Vorliegendes Blatt aus einem aufgebrochenen Antiphonar, verbildlicht in einer Initiale H die Geburt Christi und, ausserhalb der Initiale am linken Bildrand, die köstlich aquarellierte Verkündigung an die Hirten. Aus der Bordeaux farbenen Initiale wachsen breite, Akanthus Rankenausläufer in Grün, die sich windend in die untere Bordüre entwickeln und so den bas de page Schmuck bilden. Das schlichte Kolorit der reizenden Darstellung beschränkt sich auf Grün- und Bordeaux-Töne, während der Initialgrund Blau gehalten ist und von Rankenwerk verziert wird. Die lebhaft erzählerische Ader des Illustrators reicht, wir haben es erwähnt, auch in den Bereich ausserhalb der Initiale, wo am linken Buchstabenstamm sich in steiler Vertikalität eine Baum bestückte Felslandschaft entwickelt auf deren Kuppe eine Stadtansicht zu erkennen ist. Am Fusse dieses Felshügels steht inmitten seiner Schafe und des bellenden Hundes ein Hirte, der in Rückenansicht zum Engel emporblickt und dessen frohen Botschaften der Erlösergeburt lauscht.
Die böhmische Autorschaft dieses hübschen Blattes ergibt sich einerseits aus ikonographischen Aspekten der Bilderfindung, und andererseits aus der Figurentypik, die sich unverkennbar an jene der böhmische Malerei um 1360-80 anschliesst. Die auf einer Decke liegende Mutter mit ihrem eng angeschmiegten Kind, das sie küsst, ist - freilich in vereinfachter Form - ein Zitat aus der Geburt Christi des Meisters von Hohenfurt (ca. 1350, Prag National Galerie), der dafür seinerseits italienische Bildfindungen aufgegriffen haben mag. Das Mariengesicht selbst fusst auf dem böhmischen Typenrepertoire, wie es die anonymen böhmischen Maler des Madonnenbildes in Museum of Fine Arts in Boston und der Anbetung der Könige in der Sammlung Pierpont Morgan in New York ca. 1360-70 vorgebildet hatten. Gewisse Härten in der Zeichnung unseres Josephs lassen weiter an Figuren des Meisters von Wittingau erinnern, wie etwa an den Kopf des Nikodemus in der ca. 1380 entstandenen Grablegung Christi in der National Galerie in Prag. Die hier festgestellten künstlerischen Verbindungen zur böhmischen Kunst um 1360-1380, insbesondere der nicht gänzlich geglückte Versuch unseres Buchmalers, die sanfte Lichtmalerei in der böhmischen Malerei dieser Zeit ins Medium der Buchmalerei zu transponieren, was sich im blassen Kolorit der Inkarnatsfarben verdeutlicht, deutet darauf hin, dass die Entstehung des vorliegenden Blattes vermutlich in die Zeit um 1370-80 fällt. Vorliegendes Blatt ist ein seltenes Zeugnis, der böhmischen Buchkunst des späteren 14. Jahrhunderts, abseits des kaiserlichen Hofs.
(Prof. emer. Dr. Gaudenz Freuler, Universität Zürich)

Auf Trägerkarton montiert. Gewellt, in den Rändern etwas gebräunt, leicht angestaubt, mittig mit gelöschter Note.

Provenienz: Günther Rare Books, Hamburg - Schweizer Privatbesitz.

CHF 15 000 / 20 000 | (€ 15 460 / 20 620)