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Lot 505 - A192 Buchmalerei & Autographen - Montag, 15. Juni 2020, 16.00 Uhr

Dritter Bessarion Meister (akt. in der Lombardei im dritten Viertel des 15. Jhdts.).

Blatt aus einem Gradual mit Bildinitiale B und dem Heiligen Michael als Seelenwäger und zahlreiche kleine Initialen. Tempera, Feder und Goldhöhung mit lateinischer Handschrift auf Pergament, doppelseitig beschrieben.
Bologna, Ferrara 1455-60. Initiale 11,5 x 12,5 cm; Schriftspiegel 38 x 26 cm; Blattgrösse 56,5 x 49,5 cm. Textura in schwarzbrauner Tinte, Quadratnoten jeweils auf 4 roten Linien. Unter Passepartout, Holzrahmung (69 x 52 cm).

Literatur:
- Bollati, Milvia in: Arte in Lombardia tra Gotico e Rinascimento. Mailand, 1988, S. 146.
- Palladino, Pia. Treasures of a Lost Art, Italian Manuscripts of the Middle Ages and Renaissance, Ausstellungskatalog Cleveland Museum of Art, San Francisco, Museum of Fine Arts Museum of San Francisco, New York, Metropolitan Museum (23.2.2003 -1.2.2004). New Haven/London, 2003, S. 80-83.
- Canova, Giordana Mariani. "Una illustre serie liturgica ricostruita: i corali del Bessarione già all’Annunziata di Cesena", in: Saggi e memorie di storia dell’arte 11. Venedig, 1977, S. 7-20.
- Freuler, Gaudenz. Italian Miniatures from the Twelfth to the Sixteenth Centuries. Mailand, 2013, S. 672-679.

Text recte: "Benedicite Domine...".

Das vorliegende Gradualblatt mit dem Introitus für das Fest des Heiligen Michael (29. September) stammt aus einem bedeutenden aufgebrochenen Gradual, das aus einer Stiftung des griechischen Kardinals Bessarion (ca. 1399/1408-1472), einer der wichtigsten Kirchenmänner des 15. Jahrhunderts und päpstlicher Legat in Bologna (1450-55), hervorgegangen ist. Es ist Teil einer grossen Stiftung des Kardinals, der für das Franziskaner Konvent Sankt Antonius von Padua in Konstantinopel eine 14-bändige Chorbuch Serie in Auftrag gab. Diese umfasste vier Gradual Bände, neun Antiphonar Bände und ein Hymnal. Während sich drei der Gradual Bände, nämlich jene des Proprium Tempore erhalten haben, und sich in der Biblioteca Malatestiana in Cesena (MS Bess, 2,5,1) befinden (Bessarion 5 ist auf 1452 datiert), ist der uns interessierende vierte Gradual Band mit dem Proprium Sanctorum in napoleonischer Zeit aufgebrochen worden und die einzelnen Seiten in den Verkauf gelangt. Erhalten haben sich zum heutigen Stand der Forschung deren zehn, darunter das hier angebotene Blatt (Palladino 2003). Auch die Antiphonar Serie erlitt das gleiche Schicksal und die Hälfte der Bände ist uns nur noch in einzelnen Fragmenten überliefert. Die Arbeiten für die Illuminierung dieser Chorbuch Serie begannen wohl um 1452 oder kurz davor. Zwei Bände (MS. Bess. 5 (1452) und MS. Bess 6 (1455)) sind datiert, doch muss die Illuminierung der Chorbücher sich über eine längere Zeit erstreckt haben. Das gesamte Projekt wurde einer Buchmaler Equipe aus mehreren lombardischen und emilianischen Künstlern anvertraut, darunter der 2. Meister des Antifonario M von San Giorgio Maggiore in Venedig, der uns interessierende Lombarde, "Terzo Maestro del Bessarione", der ebenfalls aus Mailand stammende Meister des Breviario Francescano und Francesco de Russi, ein namhafter Miniaturist der humanistischen Renaissance, der 1455-1460 auch an der berühmten Borso Bibel mitgewirkt hatte. Da Borso d’ Estes Wappen gleich wie jenes des Bessarion auf den Frontispizen verschiedener Bessarion Bände (Venedig, Fondazione Giorgio Cini, 22124; Mailand, Privatsammlung 72) figuriert, darf angenommen werden, dass Borso d’ Este den griechischen Kardinal zu einem gewissen Zeitpunkt in seinem Projekt unterstützte, dies womöglich als Bessarion nach 1455 Bologna verlassen hatte und sich verschiedenen politischen Missionen zuwandte. Allerdings gelangten die Bände wegen der Türkenkriege und des Falls von Konstantinopel (1453) nie ins dortige Franziskaner Konvent und wurden deshalb als Alternative der Franziskaner Observanten Santa Maria Annunziata dell’ Osservanza in Cesena vergabt. Bessarion, der 1460 in politischer Mission in Wien weilte - und dabei noch die Hoffnung hegte, Konstantinopel zurückzugewinnen, doch von dieser Mission ernüchtert zurückkehrte und die Lage um Konstantinopel als ausweglos erachtete - entschied er sich wohl angesichts dieser politischen Lage kurz nach 1460, die Chorbuch Serie anderweitig, an das von Violante Malatesta gegründete Observanten Konvent in Cesena, zu stiften. Der lombardische, nach seiner Mitarbeit in der Bessarion benannte Buchmaler (Canova, 1977, S. 7–20), Terzo Maestro del Bessarione, war innerhalb dieser Chorbuch Serie mit Sicherheit eine der führenden Kräfte und bereits in den frühesten Bänden der Serie nachweisbar. Er entwickelte sich in seiner Kunst während dieses Projektes zusehends. Während sein Figurenstil nach seinen ersten in Zusammenarbeit mit dem lombardischen Buchmalerkollegen, Maestro del Breviario Francescano, illuminierten Bänden der Bessarion Serie, ihn noch als eher unsicheren und etwas faden Buchmaler ausweist, entfaltete der Künstler unter dem Eindruck der zukunftsträchtigeren Kunst der Buchmaler Equipe um Franco de Russi zusehends eine verfeinerte Kunst, und schuf eine Buchkunst grösster Raffinesse. Seine überaus fein gezeichneten, etwas bleichen Gesichter sind nun von an einer ätherischen Verinnerlichung beseelt, was für das späte Blatt mit dem Antonius von Padua, der den Fischen predigt (Mailand, Privatbesitz 72) gleich wie das Antlitz des hier angesprochenen Michael gilt. Diese Miniaturen dürften nach 1455, vermutlich gegen 1458-60 entstanden sein. Die Bessarion Chorbuch Serie, aus der vorliegendes Blatt als fol. 95 des vierten Bandes stammt, zählen zu den bedeutendsten Produkten der norditalienischen Buchkunst um die Mitte des 15. Jahrhunderts.
(Prof. emer. Dr. Gaudenz Freuler, Universität Zürich)

Auf Trägerkarton montiert. Leicht gewellt, stellenweise schwach angefaltet, in den Rändern etwas angeschmutzt, Blattgold schwach berieben, ansonsten die Bildinitiale in sehr guter und farbfrischer Erhaltung, kl. fachmännisch ergänzte Fehlstelle (mit minimalem Textverlust), leicht Papierabrieb aufgrund von Textlöschung in der 4. Zeile. Verso etwas berieben.

Provenienz: Cesena, S. Maria Annunziata dell’ Osservanza - Dr. Jörn Günther Rare Books, Hamburg - Schweizer Privatbesitz.

CHF 25 000 / 35 000 | (€ 25 770 / 36 080)