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Lot 3032* - A196 Gemälde Alter Meister - Freitag, 26. März 2021, 14.00 Uhr

TIZIANO VECELLIO genannt TIZIAN

(Pieve de Cadore 1485/1490–1576 Venedig)
Bildnis eines Edelmannes.
Öl auf Leinwand.
93,5 × 73,4 cm.

Provenienz:
- Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, wohl Charles Edward, 1884–1954.
- Sammlung Seligman, Rey and Co., New York, um 1939.
- Privatsammlung Venedig.
- Auktion Semenzato, Venedig, 31.10.1998, Los 118 (Zuschlagspreis 880 Millionen Lire).
- Privatsammlung Italien bis 2013.
- Von Obigem erworben, Privatsammlung.

Literatur:
- Ausst.-Kat. Seven Century of Painting. A Loan Exhibition of Old and Modern Masters, The California Palace of the Legion of Honor and The m. H. de Young Memorial Museum San Francisco, 1939, Kat.-Nr. Y-21 (als Tizian).
- Herold E. Wethey: The Paintings of Titian, Bd. II, The Portraits, London 1971, S. 168, Kat.-Nr. X-57 (als ‘Venetian School’).

Ausstellungen:
- New York 1939, New York World Art Fair, 1939, Nr. 21.
- San Francisco 1939, California Palace of the Legion of Honor, Nr. Y21, 1939–40 (mit Abb.).

Wir danken Professor Paul Joannides und Professor Peter Humfry, die unabhängig voneinander die Autorschaft dieses bemerkenswerten Porträts von Tizian nach Untersuchung des Originals bestätigen. Professor Joannides schlägt eine Datierung um ca. 1545–55 vor, Professor Humfrey datiert das Gemälde um 1550. Der folgende Text ist einer Analyse von Professor Joannides entnommen.

"Das Bildnis, das erst kürzlich wiederentdeckt wurde, nachdem es zuletzt anlässlich der Ausstellung von 1939–40 in der Öffentlichkeit zu sehen war, befand sich in der ehemaligen Sammlung des Herzogs von Sachsen-Coburg und Gotha, aus dessen Familie das britische Königshaus Windsor hervorging. Datierbar um 1545–55, wurde es höchstwahrscheinlich als Freundschaftsporträt gemalt.

Es dürfte sowohl Rubens als auch Van Dyck bekannt gewesen sein, denn es scheint beide Künstler für ihre Selbstporträts inspiriert zu haben: Rubens für sein “Selbstbildnis in den Kreisen der Mantuaner Freunde” von 1602 im Wallraf-Richartz-Museum (Abb. 1) und Van Dyck für das “Selbstbildnis mit Endymion Porter” von ca. 1535 im Prado (Abb. 2). Nachdem ich nun das restaurierte und gereinigte Porträt in natura betrachtet habe, hege ich keinen Zweifel, dass es sich um ein eigenhändiges Werk von Tizian handelt.

Ich würde das Gemälde zwischen ca. 1545 und 1555 und wahrscheinlich um 1550 ansiedeln, in Übereinstimmung mit der Datierung, die in den Ausstellungskatalogen von 1939–40 angegeben wird. Zur Unterstützung dieser Datierung würde ich das grossformatige Porträt des Dogen Andrea Gritti in Washington erwähnen, in dem die Hand des Dogen auf ähnliche Weise gemalt ist. Der rechte Ärmel des Edelmannes kann mit dem linken Ärmel des "Heiligen Johannes Evangelist auf Patmos" von ca. 1549 (Museum in Washington) verglichen werden, die kräftige linke Hand der Figur mit derjenigen des "Antoine Granvelle" von 1548 in Kansas City. Der glänzend erscheinende Mantel mit innovativem Faltenwurf lässt eine Nähe zu "Granvelle" und "Tizians Freund" in San Francisco herstellen.

Auf einer Fotografie des Gemäldes vor der Restaurierung wurde die Figur links noch von einem drapierten Vorhang flankiert. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass Tizian nie wirklich beabsichtigte, einen Vorhang in dieses Porträt zu integrieren. Dieser Punkt wird weiter unten eingehender diskutiert. Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass der rechte Ärmel des Dargestellten ursprünglich etwas weiter über das Handgelenk reichte und der Umriss seines Umhangs auf der rechten Seite verändert wurde. Obwohl ich dieses Porträt für ein fertiges Bild halte, sind einige Bereiche viel freier ausgeführt als andere, allem voran die linke Hand und der eingeschlagene Ärmel.

Die Darstellung einer Hand, die ein Buch hält, und der anderen, die Tizian prominent und expressiv platziert, ist keine Seltenheit in seinem Œuvre. Ein ähnliches Arrangement findet man im prächtigen Halbfigurenporträt eines Mannes im Profil in Boston aus den frühen 1530er Jahren. Jener ist jedoch in einer höfischen Tracht gekleidet und blickt nach vorne, vom Betrachter abgewandt. Es besteht auch eine gewisse Verwandtschaft zu dem frontal gestellten Grafen Porcia in der Brera, um 1540. Beide Gemälde verwenden die ab den 1510er Jahren für den Künstler geläufige Formsprache eines an- und ausgezogenen Handschuhs. Diese Repräsentationsweise wurde in dem verschollenen Porträt von Ariosto von ca. 1530 eingesetzt und modifiziert (dieses Werk ist uns durch eine Kopie – unbekannter Verbleib – vertraut, die bei Oskar Fischel, Tizian, Klassiker der Kunst, 5, illustriert ist). Das am nächsten kommende Vorbild für das vorliegende Porträt ist Tizians berühmter Musiker, dessen Name bislang unbekannt ist, in der Galleria Spada, von etwa 1513 (Abb. 3). Es ist eben diese Formel, die das vorliegende Porträt verfolgt, obwohl sie insofern modifiziert ist, als sich der Dargestellte leicht nach hinten lehnt, um seinem nach aussen gewandtem Gesicht eine grössere Dominanz zu verleihen, als ob er an den Betrachter appelliert, anstatt sich einfach nur zu präsentieren. Dieser Effekt wird durch die freiliegende, unbedeckte rechte Hand verstärkt, die auf seine Brust gelegt ist, wie in einer Geste eines Treuegelöbnisses. Durch diese Raffinesse legt der Künstler den Fokus auf die Reaktion zwischen Dargestellten und Betrachter im Gegensatz zu einer reinen Selbstdarstellung.

Nach der Mitte der 1550er Jahre malte Tizian offenbar keine Potentaten mehr und er versuchte, der einseitigen Darstellung von Dogen zu entkommen. Soweit wir das beurteilen können, schien er sich vorwiegend auf Porträts von Bewohnern und Besuchern Venedigs zu konzentrieren. Zweifellos hat Tizian zu dieser Zeit auch einige seiner Freunde dargestellt und das relativ informell. Die Wahrscheinlichkeit, den Dargestellten auf dem vorliegenden Porträt zu identifizieren, erscheint gering. Es sei denn, es gebe eine Inschrift auf der Rückseite, die durch eine alte Leinwand verdeckt wird oder man fände eine betitelte Kopie. Vasari verweist jedoch auf eine Reihe von Personen, die von Tizian gemalt wurden und deren Porträts nicht identifiziert werden konnten. Darunter befindet sich ein Mann namens "Sinistro", über den keine weiteren Informationen vorhanden sind. Es erlaubt sich die Vermutung, dass es sich bei dem ehemaligen Seligman Portrait aufgrund der bedeutungsvollen Positionierung der linken Hand, um ihn handeln könnte. In Anbetracht der Frontalität zum Dargestellten könnte ein Literatenfreund Tizians dargestellt sein. Der Edelmann besticht durch seine blauen Augen, die Tizian durch verschiedene Blautöne im Kontrast zu seinem purpurnen Wams und durch eine leichte Streuung von blauen Akzenten auf seinem Mantel hervorhebt.

Der Kopf des Dargestellten und ein Teil seines Oberkörpers sind auf einem separaten Leinwandstück wie der Rest des Gemäldes gemalt – auf einem quasi verlängerten Achteck. Der Kopf des Dargestellten wurde vermutlich ad vivum auf dieses Leinwandstück gemalt, das dann dem Gesamtwerk hinzugefügt wurde. Kürzlich ist ein Porträt Pauls III. von Tizian aus der Zeit um 1545 wiederaufgetaucht, bei dem der Kopf des Papstes ebenfalls auf ein separates Leinwandstück gemalt wurde. Um einiges früher, um 1509, fügte Tizian den Kopf des Erlösers in seinem Auferstandenen Christus (Florenz, Uffizien) auf einer separaten Holztafel ein; und sein Bildnis eines jungen Mannes in Frankfurt, ebenfalls auf einer Holztafel, das wie eine Nahaufnahme komponiert ist, könnte durchaus im Hinblick auf ein ähnliches späteres Einfügen gemalt worden sein. Es wurde ausserdem vorgeschlagen, dass der Kopf eines Magistraten auf Leinwand, der 2013 bei Christie's verkauft wurde (und den ich 2006 veröffentlicht habe), nicht wie ich dachte, ein Fragment ist, sondern eine Kopfstudie, die für eine Einfügung in eine größere Leinwand geplant war. Solche eingefügten Porträts finden sich auch in den Bildnissen des Zeitgenossen von Tizian, Jacopo Tintoretto. Allgemein ist dieser Werkprozess ein Phänomen, das ich bei vielen verschiedenen Porträtmalern aus unterschiedlichen Epochen beobachtet habe. Es überrascht daher nicht, dass Tizian dieses Prinzip ebenfalls anwendet. Dieses Vorgehen muss allerdings auch noch mit einem weiteren Punkt in Zusammenhang gebracht werden. Wie bereits erwähnt, war der Dargestellte vor der Restaurierung des Werkes von einem roten Vorhang an der linken Seite flankiert. Die Untersuchung ergab, dass zwar der obere Teil dieses Vorhangs eigenhändig war, der untere Teil sich allerdings als eine spätere Ergänzung aus dem 19. oder sogar 20. Jahrhundert herausstellte, der sich aber leicht ablösen liess. Obwohl die technische Untersuchung zeigt, dass der Vorhang über das eingefügte Kopfstück des Dargestellten hinausreichte, findet sich auf dem Leinwandeinsatz selbst keine Spur des Vorhangs. Das lässt vermuten, dass Tizian beim Integrieren des Kopfes wohl beschloss – oder vielleicht schon beschlossen hatte – den Vorhang zu entfernen. Dies deutet ferner darauf hin, dass die Hauptleinwand bereits zuvor, wenn auch nur partiell, verwendet worden war. Es könnte sogar aus einer viel grösseren Leinwand geschnitten worden sein, auf der zumindest ein Teil des nun überflüssigen Vorhangs gemalt war. Es gibt viele Werkbeispiele, die solche eigenhändigen Übermalungen aufweisen. Eines der entscheidendsten Vergleichsbeispiele ist die Venus mit dem Spiegel in Washington, das über ein Doppelporträt gemalt wurde.

Das vorliegende Gemälde scheint Rubens bekannt gewesen zu sein und diente ihm als Inspirationsquelle für sein “Selbstbildnis im Kreise der Mantuaner Freunde” von 1602 im Wallraf-Richartz-Museum. In jenem Selbstporträt ist sein linker Arm verkürzt und verschwindet hinter seinem Freund. Seine Pose und der leicht zurückgelehnte Kopf verstärken die Nähe zu Tizians Werk. Auch Van Dyck verwendet diese Pose in seinem Selbstbildnis mit Endymion Porter (Madrid, Prado), wobei der Austausch mit diesem Bildnis von Tizian nicht belegt ist – in seinem italienischen Skizzenbuch gibt es keinen Eintrag hierüber. Einiges spricht jedoch dafür. So trägt er an der linken Hand einen tizianesken grauen Handschuh, während er mit der blossen rechten Hand in einer Geste der Freundschaft und Treue seine Brust berührt. Der Mantel in unserem Gemälde bezeugt einen proto-van Dyck'schen Einfluss. Professor Peter Humfrey hebt hervor, dass in Van Dycks posthumen Inventar ein "Mann mit einem Buch" von Tizian verzeichnet ist. Es ist möglich, wenn auch bislang nicht bewiesen, dass es sich um das vorliegende Werk handelt. Angesichts der motivischen Verwendung im Werk Rubens um 1602 lässt sich vermuten, dass sich dieses hier angebotene Porträt von Tizian damals in Mantua befand. Tizian stand seit Mitte der 1520er Jahre in stetigem Kontakt mit Mantua und war bald nach 1530 regelmäßig im Auftrag des Herzogs, Federico Gonzaga, tätig."

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