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Lot 3210 - A198 Gemälde des 19. Jahrhunderts - Freitag, 01. Oktober 2021, 16.00 Uhr

CARL SPITZWEG

(1808 München 1885)
Auf der Bastei (Militärposten im Frieden). 1856.
Öl auf Leinwand.
Unten links im Wall datiert und signiert: 18 S im Rhombus 56.
22,8 × 40 cm.

Mit einem ausführlichen Gutachten von Prof. Siegfried Wichmann, 1.5.1996.

Provenienz:
- Wohl Wiener Kunstverein, 11.7.1856, direkt beim Künstler erworben (gemäss Verkaufsverzeichnis Nr. 127).
- Galerie Matthiesen, Berlin, 1930 (als "Militärposten im Frieden").
- Kunsthandel München, 1948.
- Schweizer Privatbesitz.

Ausstellungen:
- Pfäffikon 2002/3, Carl Spitzweg. Reisen und Wandern in Europa und der Glückliche Winkel, Vögele Kulturzentrum (ehemals Seedamm Kulturzentrum), Pfäffikon SZ, 22.9.2002–5.1.2003.
- München 2003, Carl Spitzweg. Reisen und Wandern in Europa und der Glückliche Winkel, Haus der Kunst, München 24.1.–4.5.2003.

Literatur:
- Günther Roennefahrt: Carl Spitzweg. Beschreibendes Verzeichnis seiner Gemälde, Ölstudien und Aquarelle. München 1960, S. 218, Nr. 786 (mit Abb.).
- Eugen Kalkschmidt: Carl Spitzweg und seine Welt. 4. Aufl., München 1966, S. 64, Abb. 38.
- Siegfried Wichmann: Carl Spitzweg. Bildreihen zum strickenden Kanonier und zum Wachsoldaten auf der Festung, Starnberg-München 1975, Nr. 34.
- Siegfried Wichmann: Carl Spitzweg. Friede. Dokumentation, Starnberg-München, R.f.v.u.a.K. 1995, S. 5–49, Bayer. Staatsbibl. München, Inv.-Nr. Ana 656 SW 91.
- Siegfried Wichmann: Carl Spitzweg. Verzeichnis der Werke. Gemälde und Aquarelle, Stuttgart 2002, S. 409, Nr. 988 (mit Farbabb. / mit falscher Bezeichnung des Malträgers - Holz statt Leinwand).
- Ausst.-Kat. Carl Spitzweg. Reisen und Wandern in Europa. Der Glückliche Winke, hrsg. von Siegried Wichmann, Stuttgart 2002, S. 101, Kat.-Nr. 46 (mit Farbabb.).


Der Kanonier mit weit aufgerissenem Gähnen, der Spatz, der in der Kanone nistet und die im Wind flatternde Wäsche sind alles eindeutige Zeichen, dass hier niemand auf Krieg eingestellt ist. So wie von Carl Spitzweg im Titel bereits andeutet, handelt es sich um einen Militärposten im Frieden.

Dieses liebevolle Porträt des Wachsoldaten, den ein Augenblick von Müdigkeit und Langeweile übermannt, ist von jener tiefen Menschlichkeit geprägt, die Spitzwegs Werke auszeichnen. Mit feiner Ironie und ungeheurer Detailgenauigkeit schildert er uns einen kostbaren Moment des Innehaltens, in dem die Waffen ruhen, eine friedliche Oase für Mensch und Tier. Dennoch deutet der von links aufziehende Sturm auf drohendes Unheil hin. Tatsächlich stehen 1856, im Entstehungsjahr dieses Gemäldes, dunkle Gewitterwolken über Europa. Als Spitzweg im März/April daran arbeitet, schliessen in Paris gerade die Vertreter des Osmanischen Reiches, Frankreichs, Österreichs, Preussens, Grossbritanniens, Sardiniens und Russland den "Dritten Pariser Frieden". Dieser beendete den Krimkrieg, der mit seinen grossen Verlusten von Menschenleben als einer der ersten modernen Stellungskriege in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Spitzweg, dessen präzise und intelligente Beobachtungsgabe sich in seinen Bildern wie Briefen und Tagebucheinträgen gleichermassen äussert, registrierte aufmerksam die Spannungen zwischen den europäischen Mächten, die durch den 1856er-Friedensschluss nicht wirklich gelöst wurden, ja sich sogar verschärfen sollten. Für die damalige Bevölkerung bedeutete dies Unruhe, Unsicherheit, ständige Mobilmachung, Krieg, Not. Sensibilisiert durch die politischen Aktivitäten seines Vaters Simon war sich Spitzweg der fragilen politischen Situation bewusst,und entsprechend beschäftigte ihn das Thema des gähnenden Soldaten über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren bis 1875. Sechs Versionen sind bekannt von der Schildwache, die sich auf einer Festung gähnend auf ihre Waffe stützt, wobei sich deren Blickrichtung, wie in unserer Fassung, einmal zur linken Bildhälfte richtet, einmal nach rechts, wie in dem um 1860 entstandenen und heute in der Kunsthalle Mannheim befindlichen Gemälde "Auf der Bastei (Friedenszeit, Gähnender Wachposten)".

Der Verfasser des Werkverzeichnisses Siegfried Wichmann hält die hier angebotene Fassung für “(…) das qualitätsvollste dieser Gruppe, das Spitzweg gemalt hat. Die Details des Pflanzenbewuchses, auch der behauenen Steine der Bastei, die im Wind flatternde Wäsche, aber auch der Wachsoldat zeugen von der besten Malqualität, die Spitzweg je gezeigt hat" (Siegfried Wichmann: Carl Spitzweg. Verzeichnis der Werke. Gemälde und Aquarelle, Stuttgart 2002, Nr. 988, S. 409). Der gelernte Apotheker und studierte Pharmazeut, Botaniker und Chemiker Spitzweg widmete sich tatsächlich mit grosser Liebe zum Detail, insbesondere den Kräutern und Stauden, die er über die Festungsmauer wachsen lässt. Dieses Ensemble integriert er in eine sich nach unten öffnende Landschaft von grosser Tiefenschärfe und Weite, die mit ihrer überragenden Schilderung des Lichtspiels und fast impressionistischen Freiheit von Spitzwegs Können ebenso wie von seiner intensiven Beschäftigung mit zeitgenössischer Landschaftsmalerei u.a. der Schule von Barbizon zeugt.

Bemerkenswerterweise legte er aber keinen Wert auf eine korrekte Uniformierung des Wachsoldaten. Der Schnitt der Kleider weist in die Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts und tatsächlich ist bekannt, dass sich Spitzweg in den Zeughäusern von München und der Festung Ingolstadt inspirieren liess. Für seine Schildwache "borgte" er sich die rote Hose der ungarischen Armee. Im Übrigen griff Spitzweg hier auf die Uniformierung fränkischer Kreiskontigente zurück, während der mit Bajonett 1,71m lange Stutzen um 1830 in die bayerische Armee eingeführt wurde. Die Darstellung ist also weder aktuell noch historisch korrekt. Vermutlich waren es kompositorische Gründe, die Spitzweg zu dieser Phantasieuniform verleiteten. Das leuchtende Signalrot der Hose dient dem Auge der Betrachter als effektvoller Fixpunkt und bildet auch den Komplementärgegensatz zum dominanten Grün der Bewachsung.

Doch gleichzeitig wollte Spitzweg nicht den Vertreter einer bestimmten Nationalität bzw. Armee darstellen. Vielmehr hat sein Anliegen generell einen universellen Anspruch: Ein Mann, ein Mensch demonstriert mit seinem Gähnen deutlich sein Desinteresse an einer kriegerischen Auseinandersetzung und hisst schon einmal die weisse Flagge als Friedenszeichen.

CHF 150 000 / 250 000 | (€ 154 640 / 257 730)

Verkauft für CHF 232 100 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr