Sie haben noch kein Login?

Klicken Sie hier um sich zu registrieren »


Wenn Sie bereits registriert sind - Login:




Lot 1087 - A196 Decorative Arts - Donnerstag, 25. März 2021, 13.30 Uhr

PAAR BEDEUTENDE INTARSIERTE KOMMODEN AUS DER WERKSTATT VON JOHANN FRIEDRICH SPINDLER

Rokoko, Potsdam um 1765. Johann Friedrich Spindler (1726 – 1799).
Nussbaum, Nussbaummaser, Zwetschge sowie weitere, teils getönte Früchtehölzer reich und fein eingelegt in Rocaillenreserven mit Blumenbouquets sowie Filets. Feine spätere Bemalung mit Rautenwerk. Trapezförmiger, dreiseitig geschweifter und bombierter Korpus auf ausgeschnittener Zarge und geschweiften Beinen. Front mit zwei Schubladen ohne Traverse. Das leicht überstehende, moulürierte und passig geschweifte Blatt intarsiert mit Fantasielandschaften, zentralem Brunnen mit Neptunfigur als sitzende Figur, darunter bäuerliche Szenen mit Vieh und Menschen sowie Darstellung eines Schlosses in Rocaillenreserven, flankiert von Blumenbouquets. Die Seitenwandungen ebenso eingelegt mit Blumenbouquets in Rocaillenreserven. Feine vergoldete Bronzebeschläge sowie Sabots in Form von durchbrochenen Rocaillen mit Blumen und Blättern. Rückseitig mit Siegel, die Schubladen innen mit Stempel "Prinzlich Reussisches Familien Privatfideikommiss Trebschen" sowie Nummerierungen auf Etiketten 15 bzw. 1048. 2 Schlüssel.
134 × 66 × 82,5 cm.

Kleinere Furnierergänzungen. Erhaltungsrestaurationen und Verstärkungen. Furnier teils geschliffen und aufgebleicht.

Provenienz:

- Prinzlich Reuss’scher Privat Familienfideikommiss Schloss Trebschen, vermutlich unter Graf Heinrich IX. Reuss zu Köstriz (1711 - 1780), königlich preußischer Oberhofmarschall und Staatsminister Friedrich II. des Grossen in den Familienbesitz gekommen
- Auktion Leo Grünpeter Berlin, 23. und 24. April 1928; Sammlungen des Prinzlich Reuss’schen Privat Fiedeikommissbesitzes Schloss Trebschen, Los Nr. 31 und 32
- Sammlung Max Emden (dokumentiert auf einem Foto im Arbeitszimmer auf der Isola di Brissago, 1935)
- 1940 durch Erbschaft an Sohn Heinrich Emden
- wohl verkauft anlässlich einer Auktion des Inventars Emden, Isola di Brissago, Sommer 1948
- Sammlung Hausamann, Schloss Rolle
- Auktion Koller Zürich, 5. November 1982, Lot 2493
- im Münchner Antiquitätenhandel vom heutigen Besitzer erstanden
- Schweizer Privatbesitz

Dieses Kommodenpaar ist auf den Schubladeninnenseiten mit Stempeln versehen, welche die beiden Möbelstücke als Bestandteile des Prinzlich Reuss’schen Privat Familienfiedeikommiss Schloss Trebschen ausweisen. Der Reuss’sche Fideikommiss wurde als Sammlungen des Prinzlich Reuss’schen Privatfideikommissbesitzes Schloss Trebschen durch das in Berlin ansässige Kunst- und Möbelauktionshaus Leo Grünpeter 1928 versteigert.
Unsere beiden Kommoden sind in diesem Auktionskatalog fälschlich als "Kommode. Französisch um 1750. Reich und fein intarsiert, bauchig gearbeitet. Bronzebeschläge der Zeit." bzw. als dessen Gegenstück unter den Losnummern 31 und 32 versteigert. Die Abbildung von Los 31 auf Tafel IV belegt jedoch, dass es sich tatsächlich um die hier angebotenen Stücke handelt.

Auch wenn bisher keine schriftlichen Beweise vorliegen, darf wohl davon ausgegangen werden, dass die beiden Kommoden durch Graf Heinrich IX. Reuss zu Kösteriz (1711 – 1780) in den Familienbesitz gelangten. Dieser fungierte als königlich preussischer Oberhofmarschall und Staatsminister des preussischen Königs Friedrich II. Ob die Kommoden ein Geschenk des Monarchen an seinen Hofmarschall und Staatsminister waren, wie der Münchner Antiquitätenhändler Neidhardt vermutete oder die Kommoden durch Graf Heinrich IX. Reuss selber bei Spindler bestellt wurden, lässt sich nicht schlüssig beantworten. Neidhardt gründet seine Vermutung auf einer Bemerkung Grünpeters im Vorwort seines Auktionskataloges, in dem eine Schenkung von Bibliotheksschränken an den damaligen Zweig der Familie Reuss durch Friedrich den Grossen erwähnt wird. Ob Grünpeter in diesem Fall, wie bei der Beschreibung der Kommoden, ein weiterer Fehler unterlaufen ist und mit den Bibliotheksschränken tatsächlich die beiden Kommoden gemeint waren, ist bloss eine Vermutung.

Ebenso möglich ist, dass Graf Reuss die Kommoden selber bei Johann Heinrich Spindler bestellt hat. Sicher annehmen darf man, dass Graf Heinrich IX. zu Kösteriz als Oberhofmarschall und Staatsminister im Dienste von Friedrich II. von Preussen die Arbeiten der beiden Ebenisten Johann Friedrich und Heinrich Wilhelm Spindler kannte. Die beiden aus Bayreuth stammenden Stiefbrüder wurden 1763 von Friedrich II. angeworben. Sie folgten 1765 dem Ruf nach Potsdam und wurden mit zahlreichen, unter der Federführung von Johann Michael Hoppenhaupt durchgeführten, Arbeiten für das Neue Palais betraut. Es entstanden zwischen 1766 und 1769 insgesamt 13 Möbelstücke und Uhrgehäuse, daneben Marketeriearbeiten an Holzvertäfelungen.

Johann Friedrich Spindler führte 1764 – 1765 für das Schloss Fantaisie in Donndorf bei Bayreuth eine Raumvertäfelung mit reichen Landschafts- und Blumenintarsien aus (heute im Bayerischen Nationalmuseum in München) (Heinrich Kreisel. Die Kunst des Deutschen Möbels. München 1970. Bd. 2, Abb. 715). Diese entstand im Auftrag einer Tochter der 1758 verstorbenen Bayreuther Markgräfin Wilhelmine Friederike Sophie, welche die sehr verrehrte Schwester von Friedrich II. war. Es ist demnach möglich, dass Friedrich II. diese Arbeit kannte.

Neben dem hier angebotenen Kommodenpaar sind zwei weitere sehr ähnliche von Johann Friedrich Spindler ausgeführte Kommodenpaare überliefert, das eine 1767 geschaffen für die untere rote Damastkammer im Neuen Palais (Afra Schick. 2008. Abb. 2, Inv. Nr. IV 389), wo es heute noch steht, das andere im Hause Doorn, Holland, der Exilresidenz von Kaiser Wilhelm II. (https://www.huisdoorn.nl/de/museum/museum-huis-doorn/)

Während die drei Kommodenpaare in der Grösse, der Form sowie der Aufteilung der Marketerie identisch sind, so unterscheiden sie sich hauptsächlich in der Verwendung der Bronzemontierungen. Die Rahmungen der Reserven bei den Kommoden im Neuen Palais sind in vergoldeter Bronze ausgeführt, während sie bei unseren beiden Kommoden und denen in Doorn in Marketerie geschnitten sind. Die Kommoden im Neuen Palais weisen grüne Marmorplatten auf, die beiden in Doorn sind marketiert und weisen dieselbe Aufteilung in drei Felder auf. Während bei den Doorner Kommoden alle drei Felder mit Blumenmarketerie versehen sind, zeigen unsere herrliche pastorale Szenen mit Schloss sowie phantasievolle Brunnenarchitekturen auf, die nach Stichvorlagen von Nicolas Berchem sowie Francois Cuvilliés aus dem "Livre de Cartouches à divers usages" von 1738 gestaltet sind. Unterschiedlich ist auch die Verwendung der Hölzer. Die Kommoden in Doorn und Potsdam sind in Palisander, Rosenholz und Weissbuche furniert während unsere mit Nussbaum, Zwetschgenholz, Weissbuche und Ahorn eingelegt sind.

Die zurückhaltend verwendeten vergoldeten Bronzebeschläge unserer Kommoden finden sich gleich auch auf anderen Spindlerarbeiten, etwa einer nicht marketierten Kommode im Grünen Damastzimmer des "Neuen Palais" (Hermann Schmitz. Deutsche Möbel des Barock und Rokoko. 1932. S. 257).

Die Unterschiede, vor allem die aufwändigeren Bronzebeschläge sowie die verwendeten Hölzer bewirken bei den Kommoden in Doorn und Potsdam eine elegantere, erhabenere oder repräsentativere Anmutung, während unseren Kommoden eine frischere oder lebendigere Ausstrahlung zugeschrieben werden kann. Sie sind ein wichtiges Beispiel des Höhepunkts des naturalistischen Rokokos unter Friedrich dem Grossen.

Literatur:
- Afra Schick. Friedrich der Große und der Hof Johann Friedrich und Heinrich Wilhelm Spindler. Die Möbelaufträge Friedrichs des Großen für das Neue Palais. In: Friedrich 300 – Colloquien Vol. 2 (2008) (https://perspectivia.net//servlets/MCRFileNodeServlet/ploneimport_derivate_00000046/Schick_Spindler.doc.pdf)
- A. Gonzales-Palacios et al. Il valore dei mobili antichi. Turin 1983. S 53. Mit Abbildung und Verweis auf die Auktion bei Koller.

CHF 150 000 / 250 000 | (€ 154 640 / 257 730)

Verkauft für CHF 219 900 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr