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VARLIN (WILLY GUGGENHEIM)

* 16.3.1900 ZÜRICH, † 30.10.1977 BONDO

Maler, Zeichner und Illustrator.

Als Sohn eines gutbürgerlichen Lithografen besucht Willy Guggenheim in St. Gallen bis 1918 die Kantonsschule. 1918–1919 Lehre im lithografischen Atelier Seitz. 1919–1921 Kunstgewerbeschule St. Gallen. 1921 Übersiedlung nach Deutschland. Er hält sich hauptsächlich in Berlin auf und wird Schüler von Emil Orlik an der Staatlichen Kunstgewerbeschule. Die Jahre 1923 bis 1932 verbringt Willy Guggenheim in Paris, wo er zunächst an der Académie Julian, anschliessend von 1923 bis 1926 an der Académie André Lhote und an der Grande Chaumière tätig ist und wo er 1930 den Kunsthändler Leopold Zborowski kennenlernt. Von ihm bekommt der junge Schweizer einen Vertrag, ein Atelier im Pavillon de la Ruche in Montparnasse und das Pseudonym Varlin. Nach dem Tod Zborowskis 1932 kehrt der Künstler in die Schweiz zurück.

Er lässt sich mit seiner Mutter und seiner Zwillingsschwester Erna in Zürich-Wollishofen nieder; trotz seinem Einzelgänger-Temperament schliesst er Freundschaft mit Künstlern wie Louis Conne, Hans Aeschbacher und den von ihm porträtierten Karl Geiser, Leo Leuppi, Arnold D’Altri, Adolf Herbst und Friedrich Kuhn. 1937, 1938 und 1939 Eidgenössisches Kunststipendium. Bis in die 1960er Jahre bleibt Zürich das geografische Zentrum seines Lebens und Schaffens. Er unternimmt häufige Reisen durch die Schweiz und ins Ausland (Aufenthalte vor allem in Italien, Frankreich, Grossbritannien und in Spanien), während derer bedeutende Werkgruppen entstehen. Die ersten wichtigen Ausstellungen datieren aus den 1950er Jahren: 1951 Kunstmuseum Luzern mit Max Gubler, 1954 Kunsthalle Bern und 1958 Kunstmuseum St. Gallen.

1960 findet eine grosse Ausstellung im Kunsthaus Zürich statt. Im selben Jahr gewinnt Varlin den Guggenheim-Award für die Schweiz und vertritt zusammen mit Otto Tschumi und Robert Müller die Schweiz an der Biennale di Venezia. 1963 heiratet er die aus dem Bergell stammende Franca Giovanoli, die er 1951 kennengelernt hat. Von nun an wird das Bergeller Dorf Bondo zu seinem bevorzugten Wohnsitz. Hier tritt er in Kontakt zum Mailänder Kunstkritiker und Schriftsteller Giovanni Testori, der das Werk Varlins in Italien stark fördert. 1966 wird die Tochter Patrizia geboren. 1967 grosse Ausstellung in der Kunsthalle Basel und Kunstpreis der Stadt Zürich. 1971 verlässt er endgültig sein Zürcher Atelier am Neumarkt. In Bondo arbeitet er bis zu seinem Tod an riesigen Leinwänden.

Varlin wurde lange Zeit als Sonderfall der Schweizer Malerei des 20. Jahrhunderts betrachtet. Sein figuratives Werk galt als schwer klassifizierbar und anachronistisch in einer Kunstlandschaft, die von Tendenzen dominiert wurde, die man als weit aktueller betrachtete. Sein Œuvre wurde dementsprechend lange vernachlässigt und missverstanden. Erst die kritische Wiederaufnahme in den 1990er Jahren hat darin einen bedeutenden Beitrag der schweizerischen und europäischen Malerei dieses Jahrhunderts erkannt. Varlin kommt 1932 in die Heimat zurück, nachdem er in Deutschland und Paris war.

Er steht den avantgardistischen Tendenzen und jeglichen abstrakten Versuchen völlig fremd gegenüber und wird diesen nie einen wahren ästhetischen Wert beimessen. Seine Modernität liegt eher in einer Stimmung als in transgressiven Experimenten: Sein Werk steht in jener realistisch-expressiven Tradition, die von Rembrandt und Frans Hals über Goya, Théodore Géricault, Max Liebermann, Emil Orlik und Lesser Ury, über den frühen van Gogh und Henri de Toulouse-Lautrec bis zu Edvard Munch, Chaim Soutine und Francis Bacon reicht. Es ist eine Tradition, die sich vornehmlich mit dem Obskuren im Menschen und im Leben befasst, dessen innere Abgründe beleuchtet, um sich des existenziellen Unbehagens des ganzen 20. Jahrhunderts zu bemächtigen. Die frühe Berliner Erfahrung mit dem Kontakt zu Orlik und durch ihn zur Malerei von Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth erschliesst Varlin die nordische Welt mit ihrem expressiven Charakter und dem Thema der Brüchigkeit des Alltags: Es ist ein Universum von Antihelden, Randfiguren und bescheidenen Gegenständen, die das Anekdotische hinter sich lassen, um zu Metaphern des Daseins im Sinn eines Pantheismus zu werden, dem der Künstler schon durch seine jüdische Herkunft tief verpflichtet ist.

Diese Atmosphäre wird er in den Werken van Goghs und zum Teil bei den Künstlern der École de Paris wiederfinden, denen er am Montparnasse begegnet, und sie wird seinen ganzen künstlerischen Werdegang begleiten; seine Porträts werden oft neben diejenigen von Chaim Soutine gestellt. Ausgehend von solchen Eindrücken wird Varlin im Laufe der Jahre einen persönlichen künstlerischen Weg gehen, frei von scharfen Brüchen, in dem alles immer wieder auf den Menschen zurückgeführt wird. Seine von den Bedingungen der Existenz gezeichneten Modelle – Menschen und Objekte – lässt Varlin in einer teils bissigen, teils traurig ironischen und bitteren Comédie humaine auftreten. Mit seinen Bildnissen von Clochards, Kellnern, Freunden und Verwandten und später, nach seiner Anerkennung als Porträtist, auch von Prominenten zielt Varlin nicht auf eine Gesellschaftskritik, er will vielmehr dem gemeinsamen und absurden Drama des Daseins Ausdruck verschaffen.

Darin ist er Schweizer Schriftstellern wie Friedrich Dürrenmatt oder Hugo Loetscher nahe, die er mehrmals porträtiert. Diese introspektive Spannung findet man ebenfalls in den Stadtlandschaften, in den Darstellungen von Gebäuden und gespenstischen Interieurs, von den ersten in Frankreich entstandenen, an van Gogh erinnernden Restaurants (Restaurant in Arles, 1930–1931), über die Cafés, die Fassaden, die Warteräume, die er in der Schweiz der 1940er und 1950er Jahre malt, von den englischen Stadtansichten über die spanischen Friedhöfe bis hin zu den grandiosen Interieurs der 1960er und 1970er Jahre (Das Atelier in Zürich II und III, 1962).

Varlin setzt seine Motive in eine oft skizzenhaft wirkende Malerei um, die aber kontrolliert und das Ergebnis sorgfältiger Überarbeitung ist. Der schwarzen und grauen, mit grellen Akzenten durchsetzten Malmaterie sind wie hineingeworfen die unterschiedlichsten Collageelemente beigefügt (Rosshaar, Lederfetzen, Metallstücke). Als Bildträger verwendet er sowohl Leinwand als auch Karton, Holz und grobe Jute. Es ist eine von einem «sfondare», einem In-die-Tiefe-Gehen gekennzeichnete Malerei: durch immer verzerrtere, extremere Perspektiven schafft Varlin beunruhigende Räume, die nicht mehr real sind, sondern mental, psychologisch. Das vornehmlich in Bondo ab den 1960er Jahren entstandene Spätwerk wird allgemein als der Höhepunkt in Varlins Schaffen betrachtet.

Schon 1964 malt er in Zürich zwei grosse Tafeln für die Expo in Lausanne, zwei imposante, von Einsamkeit, Wahnsinn und Ironie durchdrungene Gruppenbildnisse (Die Heilsarmee [Die geistige Freude], 1964; Die Völlerei [Die Sinnesfreude], 1964). Doch seine Brisanz äussert sich vor allem in den Ansichten von Bondo im Schnee, in den rührenden Selbstporträts von 1975–1976 und in den jetzt fast monochromen Interieurs, die sich in unerwarteten perspektivischen Ausdehnungen verdrehen (Patrizia auf der Toilette im Atelier, 1973; Die Zwillinge, 1972–1974), sowie in den alltäglichen Gegenständen, die immer lebendiger und mit einer kosmischen Energie aufgeladen scheinen (Der Sessel, um 1972). Die letzte grosse Leinwand, Die Leute meines Dorfes, 1975–1976, ist eine Art berührender und grausamer Totentanz, der als Krönung eines künstlerischen Werkes von ausserordentlicher Tiefe gilt. Ein Werk, dem es gelingt, die innere Tragödie des modernen Menschen blosszulegen, und das sich gerade deshalb von ständiger Aktualität erweist. 


SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz

Paola Tedeschi-Pellanda, 1998, aktualisiert 2015 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000086



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