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LE CORBUSIER (CHARLES-ÉDOUARD JEANNERET-GRIS)

* 6.10.1887 LA CHAUX-DE-FONDS, † 27.8.1965 ROQUEBRUNE-CAP MARTIN

Architekt, Plastischer Künstler, Maler, Graveur, Zeichner und Skulpteur.

Nach einer Ausbildung zum Graveur und Ziseleur an der Kunstgewerbeschule La Chaux-de-Fonds, die geprägt war durch den Einfluss von Charles L’Eplattenier, unternahm der junge Charles-Edouard Jeanneret mehrere Reisen, die eine entscheidende Rolle in seiner künstlerischen und visuellen Bildung spielten: in die Toskana, wo er die Kartause von Ema entdeckte, nach Ravenna, Budapest und Wien (Aufenthalt bei Josef Hoffmann) und schliesslich nach Paris, wo er 15 Monate im Atelier von Auguste Perret arbeitete. 1909 kehrte er nach La Chaux-de-Fonds zurück und gehörte dort zu den Gründern der Ateliers d’art réunis. Ein Jahr später reiste er nach Deutschland, um die dortige Kunstgewerbebewegung zu studieren. 1911 unternahm Jeanneret eine Studienreise durch Zentraleuropa und den Balkan, die zu den Aquarellen Langage de pierres führte, die 1912 am Salon d’Automne in Paris ausgestellt wurden.

Jeanneret liess sich 1917 endgültig in Paris nieder, wo er Amédée Ozenfant kennenlernte, mit dem er den Purismus begründete. Zusammen mit Ozenfant und dem Dichter Paul Dermée war er auch an der Gründung und Herausgabe der Zeitschrift L’Esprit nouveau beteiligt (1920–25). Damals verwendete er auch erstmals das Pseudonym «Le Corbusier». 1925 publiziert der Künstler, ebenfalls mit Ozenfant, das Buch La peinture moderne und knüpfte Kontakt mit Fernand Léger. 1927 beteiligte sich Le Corbusier am Wettbewerb für den Völkerbundpalast in Genf. Sein Projekt löste eine heftige internationale Polemik aus, wurde letztlich aber verworfen.

1928 trug der Künstler und Architekt im Schloss La Sarraz aktiv zur Gründung der Congrès internationaux d’architecture moderne (CIAM) bei. Zahlreiche internationale Architekten, Industrielle, Kunstschaffende, Kritiker und Politiker wurden zu diesen Kongressen für Neues Bauen eingeladen, was den Austausch avantgardistischer Ideen in der Westschweiz förderte. 1930 beteiligte sich Le Corbusier während einiger Zeit an den Aktivitäten der Künstlervereinigung Cercle et Carré in Paris. In dieser Epoche baute er auch die Villa Savoye in Poissy und in Genf das Immeuble Clarté, sein erstes Mehrfamilienhaus. 1932 realisierte er ein fotografisches Wandbild für den von ihm gebauten Pavillon Suisse in der Cité universitaire in Paris.

Ab 1936 entwarf er Vorlagen für Wandteppiche und arbeitete in der Folge mit Pierre Baudouin zusammen. Die eigentliche Bedeutung dieser Wandteppiche – die wie eine Wandmalerei gestaltet, aber transportierbar sind – zeigt sich bei ihrer Integration in die Bauten, wo sie unter anderem zu einer Verbesserung des Komforts und der Akustik beitragen. 1938, nachdem Le Corbusier 15 Jahre lang nicht mehr ausgestellt hatte, zeigte er seine Werke erstmals wieder öffentlich im Zürcher Kunsthaus. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs liess er sich in Ozon in den Pyrenäen nieder, wo er sich mehr denn je der Malerei widmete. Nach seiner Rückkehr nach Paris machte er seinem Freund, dem Kunsttischler Joseph Savina, den Vorschlag, ausgehend von seinen Skizzen Skulpturen zu schaffen. Diese Zusammenarbeit dauerte bis zu seinem Lebensende. Zahlreiche Aufträge aus aller Welt ebenso wie unzählige theoretische Schriften hinderten Le Corbusier nicht daran, auch sein künstlerisches Schaffen weiterzuverfolgen.

Zu Beginn der 1950er-Jahre erneuerte er mit der Serie Taureaux seinen bildnerischen Ausdruck und realisierte Gemälde in einem lyrischen Stil und in lebendigen Farben, die 1956 im Rahmen einer Sonderausstellung in der Galerie Pierre Matisse in New York gezeigt wurden. In dieser Zeit schuf er auch die Vorlagen für die prachtvollen Wandteppiche im Gerichtshof in Chandigarh (650 m2) ebenso wie für den Bühnenvorhang der Konzerthalle Bonka Kaikan in Tokio. Hinzu kamen emaillierte Tafeln, insbesondere für die Kapelle in Ronchamp und später für das Parlamentsgebäude in Chandigarh. 1957 Auftakt der Wanderausstellung Dix capitales im Kunsthaus Zürich, weitere Stationen in Paris (1962, Musée national d’art moderne) und Florenz (1963, Palais Strozzi).

Le Corbusier war nicht nur eine dominante Figur der Architekturszene der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern auch Stadtplaner, Theoretiker, Schriftsteller, Herausgeber und Möbeldesigner (zusammen mit Charlotte Perriand). Er zeigte eine grosse Leidenschaft für verschiedenste Ausdrucksmittel: Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Lithografie, Wandteppiche, Emaillierung. Er betonte selbst mehrfach, wie wichtig es für sein Forschen und sein architektonisches Schaffen gewesen sei, sich regelmässig und konstant jeden Morgen fünf Stunden dem Malen und Zeichnen zu widmen: «Mein Forschen ist, wie meine Gefühle, auf das gerichtet, was den höchsten Wert des Lebens darstellt: die Poesie.» Das künstlerische Schaffen, losgelöst von jedem praktischen Zweck, ermöglichte es Le Corbusier, seine aussergewöhnliche Aufnahmefähigkeit konkret umzusetzen, seinen Erinnerungen freien Lauf zu lassen und sein Denken zu entwickeln.

Le Corbusier selbst sagte zwar, er sei erst im Alter von 33 Jahren künstlerisch tätig geworden (das heisst in den ersten Jahren seiner puristischen Phase). Tatsächlich malte er aber bereits ab 1904 als 17-Jähriger regelmässig Gouachen und Aquarelle, in denen sich Fantasie und Beobachtung in unterschiedlichem Masse vermischten. Diese Landschaften, Stillleben, Akte oder Werke, die seiner Fantasie entsprangen und in denen eine subjektive und lyrische Kunst zum Ausdruck kommt, zeugen von einer unermüdlichen Neugier und einem unablässigen Willen, in einen intensiven Austausch mit der Welt zu treten. Darin zeigt sich bereits eines von Le Corbusiers grössten Anliegen als Architekt: «Der Mensch und seine Umgebung, das ist es, was ich erforsche: Kosmos und Mensch.» Der Künstler, der zutiefst von seiner intensiven Beziehung zum Jura geprägt war – was stark mit seinem ersten Lehrer Charles L’Eplattenier zusammenhing, der seinerseits von den Grundsätzen des Jugendstils beeinflusst war –, wollte vor allem das Gefühl wiedergeben, das die Natur in ihm auslöste. In Österreich zeigte sich der junge Jeanneret zutiefst beeindruckt von den geschwungenen Linien und Voluten der Wiener Kunst, während er seine künstlerische Bildung in Paris nicht im direkten Kontakt mit der zeitgenössischen französischen Kunst vervollständigte, sondern durch Besuche in Museen.

Die Volkskunst, die Wandteppiche und Miniaturen des Mittelalters ebenso wie die Tiere und Muscheln im Naturhistorischen Museum fanden seine besondere Aufmerksamkeit. Die entscheidende Reise in den Balkan und die Mittelmeerländer wirkte schliesslich wie ein Katalysator. Das Kennenlernen einer lebendigen Volkskunst, die kontrastreichen Farben, ihre Aussagekraft und symbolische Dimension, das Entdecken einer mit Sinnlichkeit verbundenen Freude: All dies führte zu Gouachen, die geprägt sind durch einen impulsiven, zuweilen überschwänglichen Stil, lebendige Farben, Bewegung und Licht. Das Zusammentreffen mit Ozenfant gab dem bildnerischen Schaffen von Jeanneret während mehrerer Jahre eine besondere Ausrichtung. Gemeinsam verfassten sie das Manifest Après le cubisme (1918), das ihre erste gemeinsame Ausstellung in der Galerie Thomas in Paris ankündigte.

Dabei ging es nicht nur um die Definition einer neuen Strömung in der Malerei – den «Purismus», wie Ozenfant sie nannte –, sondern auch darum, die Essenz des «modernen Geistes» zum Ausdruck zu bringen. Ozenfant und Jeanneret befassten sich in diesem Manifest mit den eigentlichen Grundsätzen des Kubismus, dem sie unter anderem seinen grundsätzlich ornamentalen Charakter, seine Entfernung von den Prinzipien der Darstellung und seine Dunkelheit vorwarfen. Die stark rationalistische Ideologie des Purismus postuliert die Nähe zwischen Kunst und Wissenschaft. Ordnung, Reinheit, Klarheit und Harmonie sind einige Schlüsselbegriffe dieser Theorie. Industrielle Produkte und Werke der Ingenieurskunst haben aufgrund ihrer plastischen Schönheit einen hohen Stellenwert in dieser neuen strengen Ästhetik, die bestimmt ist durch die Suche nach dem Unveränderlichen und in der jede Zufälligkeit ausgeschlossen ist. Form ist wichtiger als Farbe und die Proportionen spielen eine dominante Rolle. Die puristische Kunst hat das Ziel, die Poesie eines hergestellten Gegenstands zum Ausdruck zu bringen, das eigentliche Wahrzeichen im Leben des modernen Menschen. Der rigide Rahmen dieser Grundsätze hinderte Jeanneret nicht daran, Gemälde zu schaffen, aus denen eine stille und tiefe Poesie spricht. Dazu zählt etwa Nature morte à la cruche blanche sur fond bleu (1919) − ein Werk, in dem die frontal angeordneten vertikalen Objekte in einer subtilen Harmonie eher dunkler Farbtöne eine Zeitlosigkeit ausstrahlen, die ihre plastische Komplexität in keiner Weise schmälert.

Später werden die Farbtöne blasser, die Kompositionen erhalten eine gewisse Transparenz und die Objekte vervielfachen sich, wie etwa in Nature morte aux nombreux objets (1923). Ab 1928 richtet sich das bildnerische Schaffen von Le Corbusier auf eine freie und persönliche Kunst aus, die geprägt ist durch das erneute Auftauchen von organischen Formen. Der Einsatz der Farben ist keinem Prinzip unterworfen, der Raum zusammengesetzt (ebene bunte Flächen, die aufgrund ihrer gestalterischen Ausformungen einen sinnlich wahrnehmbaren Raum erzeugen). Manchmal ist die Leinwand in mehr oder weniger rechteckige Flächen unterteilt (Le coquetier, 1927–1939 oder Adieu Var, 1932–39/1957), in denen die Farbe alleine Räumlichkeit bewirken. Die besondere Poesie, die diese Gemälde ausstrahlen, ergibt sich insbesondere aus einer expressiven Dichte, die jeden narrativen Aspekt ausschliesst.

Der Stil von Le Corbusier ist zweifelsohne beeinflusst von den Arbeiten von Picasso, den Kubisten und Surrealisten – mit denen er entgegen seinen eigenen Absichten «heimliche Kontakte» pflegte, wie Stanislaus von Moos sagte – und vor allem von seinem Freund Fernand Léger. Ende der 1920er-Jahre teilt er mit Letzterem gewisse besondere Merkmale: das Gegenüberstellen von Objekten aus verschiedenen Welten, begleitet von Disproportionen, die neuartige Spannungen auslösen, oder auch die starke plastische Dichte einiger Formen, die ihnen eine gewisse Monumentalität verleiht, wie etwa in Composition. Violon, os et saint Sulpice (1930). Die Figuren, Objekte oder Objektfragmente liegen dicht beieinander oder überlagern sich auf unerwartete Weise. Durch das Fehlen jedes vertrauten oder realistischen Kontextes erlangen sie eine grosse Aussagekraft, die noch verstärkt wird durch das Aufeinanderprallen von warmen und kalten Farbtönen.

Le Corbusier bezog manchmal auch natürliche Formen ein, die er als «objets à réaction poétique» bezeichnete: Kieselsteine, Fossilien, Muscheln, Knochen oder Holzstücke, die neben ihren plastischen Qualitäten auch die Anzeichen von Abnutzung, Erosion oder Zersplitterung und damit die Spuren der Zeit tragen. Sie widerspiegeln die starke Naturverbundenheit, die Le Corbusier seit seiner Kindheit und sein ganzes Leben lang prägte und die in einer ständigen dialektischen Spannung mit der Sprache der Geometrie steht. Ab Beginn der 1930er-Jahre nahmen der menschliche Körper und insbesondere der weibliche Akt in Le Corbusiers Werk einen wichtigen Platz ein. Dabei stellte er die voluminösen Gestalten oft in sinnlichen oder erotischen Kompositionen in einem barocken oder expressionistischen Stil dar. Oft nahm der Künstler dabei die Collage zu Hilfe und schuf so eher abstrakte als figurative Werke. Kunst, die immer auf der Suche ist nach den «Geheimnissen der Form», wird auch im Zusammenspiel mit dem menschlichen Lebensraum wahrgenommen. Das Thema der «Synthese der Künste» hat Le Corbusier insbesondere im Klima der Nachkriegszeit begeistert – nicht im Sinne einer einfachen Unterordnung der Malerei und der Bildhauerei unter die Architektur, sondern als tiefgreifende Übereinstimmung der Formen. Farben schaffen als konstruktive Komponente vor allem Raum; sie besitzen aber auch evozierende Qualitäten, die mit der tagtäglich gelebten Erfahrung verbunden sind. Für Le Corbusier hat Kunst – das Labor jeder visuellen Erfahrung und der «Schlüssel» seiner Arbeiten und seiner Forschungen – eine exaltierende Kraft und kann die Quelle von Glück sein. Vor allem aber verkörpert Kunst den Wunsch und die Notwendigkeit, einen permanenten Dialog mit der Welt aufzubauen. Der schöpferische Akt, eine grenzenlose Suche, wird somit zur «zur Ursache der Anerkennung des Anderen». 


SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz

Danielle Perret, 1998, aktualisiert 2015 Übersetzung: Irene Bisang https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000293



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