AUBERJONOIS, RENÉ
* 18.8.1872 LAUSANNE, † 11.10.1957 LAUSANNE
Maler, Zeichner und Illustrator.
Die Eltern von René Auberjonois waren Gustave Auberjonois, Agronom, Grossgrundbesitzer und Gründer eines Musterbauernhofs in der Waadt, und Pauline Augusta d’Albis, die ursprünglich aus Frankreich stammte. Er wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf und konnte somit frei von finanziellen Sorgen eine künstlerische Laufbahn einschlagen und sich auf seine malerischen Forschungen einlassen, ohne irgendwelche Kompromisse eingehen zu müssen. In seinen Jugendjahren betrieb er klassische Studien, begann eine Banklehre und wurde Leutnant der Kavallerie. Nach einem ersten Aufenthalt in England, wo er Violinunterricht nahm und seine ersten Karikaturen zeichnete, besuchte er das Polytechnikum in Dresden. Schliesslich beschloss er, sich lieber der Malerei als der Musik zu widmen, und kehrte nach London zurück, um an der Kensington School of Art zu studieren. 1896 liess sich René Auberjonois in Paris nieder, wo er Schüler von Luc Olivier Merson wurde. Ein Jahr später trat er in die dortige Ecole des Beaux-Arts ein und 1900 reiste er nach Florenz, wo er Werke der frühen italienischen Malerei kopierte.
Der Beginn von Auberjonois’ künstlerischer Laufbahn in Paris blieb in der Schweiz, wo der Maler den Sommer verbrachte, nicht unbemerkt und 1903 schlug ihm [u]Ferdinand Hodler[/u] einen Austausch ihrer Zeichnungen vor. 1905 lernte der Künstler in Paris den Dirigenten Ernest Ansermet und insbesondere den Schriftsteller Charles Ferdinand Ramuz kennen, mit dem er sich geistig verbunden fühlte und eine lebenslange Freundschaft knüpfte. Zusammen begeisterten sie sich für die Ausstellung zu Ehren von Cézanne am Salon d’Automne im Jahr 1906. Auberjonois illustrierte zahlreiche Bücher von Ramuz, angefangen beim Einband für La grande guerre du Sondrebond (1905). Diese gemeinsamen Jahre in Paris verschafften Ramuz den Rohstoff für seinen Roman Aimé Pache, peintre vaudois (1911), den er seinem Freund widmete. Nach seiner Heirat mit Augusta Grenier 1908 zog sich Auberjonois zwei Jahre nach Jouxtens-Mézery in die Schweiz zurück, wo auch seine beiden Söhne geboren wurden: Maurice 1909 und Fernand 1910. 1914 liess er sich definitiv in der Schweiz nieder und wurde bald aus dem Militärdienst entlassen.
Ab 1916 waren seine herausragendsten Werke für den Sammler Hans Graber reserviert, der ihn unterstützte und den Museen in Zürich (1923) und Basel (1946) bedeutende Schenkungen machte. Er schuf Bühnenbilder für Guillaume le Fou von Fernand Chavannes, traf Igor Strawinsky, für den er 1918 ebenfalls Bühnenbilder malte, und entwarf den Vorhang und Kostüme für das Musiktheater L’histoire du soldat (Musik von Strawinsky, Text von Ramuz). Schliesslich richtete sich Auberjonois ein Atelier in Lausanne ein, das er bis zu seinem Tod bewahren sollte, und hielt sich längere Zeit in Sion auf, was entscheidend war für seine Beschäftigung mit Walliser Themen.
Die 1920er-Jahre brachten ihm eine gewisse öffentliche Anerkennung: Ankäufe des Musée d’art et d’histoire von Genf (1920) und der Schweizerischen Eidgenossenschaft (1922); Auftrag des Musée cantonal des beaux-arts von Lausanne und ein erster Artikel von Gustave Roud (1922); erste Monografie von Hans Graber (1925); erste Einzelausstellungen. 1919 liess er sich von seiner Frau scheiden und heiratete 1922 Marguerite Hélène Buvelot, von der er sich 1929 wieder trennte, was ihn zur Überzeugung brachte, dass für ihn Familienleben und Beruf nicht vereinbar seien. 1924 lernte er Jean Dubuffet kennen, den er in seinem Interesse für die «schizophrenen Maler» bis 1952 begleitete. Gemeinsam besuchten sie Louis Soutter, organisierten eine Ausstellung seiner Werke (1937) und widmeten ihm einen Artikel (1948). Eine weitere bedeutsame Begegnung war jene mit Henri-Louis Mermod im Jahr 1925, dem Verleger von Ramuz, der Auberjonois später mit zahlreichen Illustrationen beauftragte.
Der Tod seiner Mutter im Jahr 1929 führte zur Versteigerung des Familienbesitzes. René Auberjonois, der nun sehr alleine war, liess in Pully ein Haus neben jenem von Ramuz bauen und bewohnte dieses von 1933–34. In dieser Zeit der engen Nachbarschaft entzweiten sich die beiden Freunde. 1935 schuf Auberjonois im Auftrag der Stadt Lausanne ein Wandbild für das Weingut Abbaye du Dézaley. Als ewiger Zweifler wagte er es nicht, direkt auf die Mauer zu malen – was eine gewisses Tempo in der Ausführung verlangt und nachträgliche Änderungen sehr schwierig gemacht hätte – , und zog es vor, die fertig gemalten Leinwände auf die Wand aufziehen. Die Polemik, die seine Belle du Dézaley auslöste, traf ihn umso mehr, als er unter Druck gewisse Retuschen vornehmen musste, die ihm diese Technik erlaubte.
In der Folge schloss er sich in seinem Atelier ein, zog sich immer mehr in seine Arbeit zurück und suchte nach einem Ausweg aus der persönlichen und beruflichen Krise, die er seit Beginn der 1930er-Jahre durchlebte. Zwischen 1935 und 1940 hatte er eine Liaison mit Simone Hauert, Modell vieler seiner Gemälde. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lähmte sein Schaffen zunächst, aber die 1940er-Jahre sind trotz gesundheitlicher Probleme das produktivste Jahrzehnt des Künstlers. 1941 befreundete er sich mit Balthus und dem Kunsthistoriker Gotthard Jedlicka. Trotz seiner chronischen Unzufriedenheit fand sein Werk zunehmend öffentliche Anerkennung: Retrospektive im Kunstmuseum Winterthur (1942); Monografie von Ramuz (1943); Teilnahme an der Biennale di Venezia (1948).
Der Tod von Ramuz 1947 traf den Künstler schwer und sein eigenes Altern und seine Gesundheit bereiteten ihm Sorgen. 1950, als die ersten Fälschungen auf dem Markt auftauchten, reiste er ein letztes Mal ins Wallis, das ihn so oft inspiriert hatte. Danach zog er sich immer mehr aus der Kunstszene zurück, lehnte eine Retrospektive in Lausanne ab, brach mit [u]Gustave Roud[/u], aber vollendete noch eines seiner Meisterwerke: L’arène jaune (1953–54). 1955, zwei Jahre vor seinem Tod, als er seine letzten Werke zwischen langen Spitalaufenthalten malte, fand sein Schaffen an der ersten Documenta in Kassel internationale Anerkennung.
Nach dem Beginn seiner Karriere in Paris, in denen Auberjonois realistische Zeichnungen schuf, versuchte er 1903, sich ein postimpressionistisches malerisches Vokabular anzueignen. Er beschäftigte sich mit Walliser Themen, malte Frauen bei der Toilette oder Blumenvasen. Ab 1912 setzte er sich mit der Lehre von Cézanne auseinander. Die schrittweise Integration dieser Prinzipien bestimmte seine ganze weitere Entwicklung, zunächst durch eine Einschränkung und Verdüsterung seiner Farbpalette, die – verbunden mit dem ständigen Streben nach einer rigorosen Ausgewogenheit der Komposition, die wenn nötig auch eine Deformation von Figuren zuliess – zum Merkmal eines Malers wurde, der als schwierig galt. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz im Jahr 1914 begann er denn auch, sich mit einer speziellen künstlerischen Forschung zu beschäftigen, die nicht der allgemeinen Strömung entsprach. Einerseits betrachtete er den Kubismus seit seiner analytischen Phase als Sackgasse, die zur Ungegenständlichkeit führt und damit Cézannes Streben nach Synthese verkennt.
Aus diesem Grund hielt er an der Gegenständlichkeit einer Natur fest, die den Anforderungen der Komposition unterworfen ist und deshalb vom alleinigen Grundsatz der Ähnlichkeit befreit ist. Andererseits strebte er, der sich wieder auf seine Wurzeln und die Werte der Einfachheit besonnen hatte – denen er sich ebenso wie Ramuz und dem in Aix isolierten Cézanne verbunden fühlte –, nach einer Synthese von strengem räumlichem Aufbau und Ausdruckskraft. Dabei wurden seine Erinnerungen an das Wallis, Tiere, die Welt der Schausteller, Stillleben, Porträts oder auch weibliche Akte zu seinen Hauptthemen. In dieser Entwicklung überwog zunächst die Ausdruckskraft, was sich insbesondere in den verlängerten Figuren zeigt. Wenn er darin dem Beispiel von André Derain folgte, dann deshalb, weil er in ihm einen wahren Nachfolger der Kunst von Cézanne erkannte.
In seinem Artikel Sur la décoration d’une baraque foraine (Cahiers vaudois, 1914) zeigte sich Auberjonois‘ Interesse für die naive oder Volkskunst und dementsprechend stand sein bühnenbildnerisches Schaffen, insbesondere für L’histoire du soldat, zunächst noch ganz in der Tradition der schönen Handwerkskunst. Nach seinen Bühnenbildern zur Zweihundertjahrfeier des Aufstands von Jean Daniel Abraham Duvel in Cully 1923 und für den Künstlerball der Waadtländer Sektion der Société des peintres, sculpteurs et architectes suisses (SPSAS) 1927 in Lausanne sowie Versuchen mit der Hinterglasmalerei (1928–29, 1935) verzichtete er aber auf dieses künstlerische Streben nach einfachen und «primitiven» Formen, wie er sie nur im Wallis oder in der Welt der Schausteller vorfand. Ab 1920 bevorzugte er, der nach neuen Lösungen für den Aufbau von Gemälden suchte, weibliche Akte, die ebenso wie jene von Picasso voluminöser wurden.
Der Beginn der 1930er-Jahre ist durch eine neue expressionistische Welle geprägt – eine formelle Vereinfachung, die manchmal fast an Modigliani gemahnt. Konfrontiert mit der Monumentalität der Wandbilder, mit denen er beauftragt wurde, hellte er seine Farbpalette wieder auf und arbeitete langsamer. Diese Krise löste sich langsam, als er sich wieder kraftvolleren Farben (gegen 1936) und dunkleren Töne zuwandte (gegen 1940). Sein Spätwerk ging er also als Kolorist an, der sich zunächst von Delacroix und dann ab 1948 von Rembrandt inspirieren liess.
In dieser Zeit schuf Auberjonois einige seiner bedeutendsten Werke: Hommage à l’Olympia (1943); Baigneuses dans la forêt (1944); Clown et petite écuyère, (1946); Portrait de l’artiste (1948); Fille dans la chambre rouge (1948); Nature morte au crâne (1950) und schliesslich L’arène jaune (1953–54). Das Hauptthema dieser Periode – und ein Spiegel seiner eigenen Isolation und Abbild des menschlichen Lebens – war der Stierkampf. Das malerische Werk von Auberjonois zeugt von einer langsamen Reifung, die sich auf ein frühes und bedeutendes zeichnerisches Werk stützt und erst ab 1948 ihren Höhepunkt erreicht, als der Künstler bereits 76 Jahre alt war. Die Zeichnung ist das bevorzugte Gebiet seiner formellen Studien und genoss in dieser Hinsicht eine grosse Unabhängigkeit von der Malerei. Die humoristische Zeichnung ist von Beginn weg präsent.
Der Künstler hat sich darin oft selbst dargestellt und manchmal auch karikiert. Er war äusserst kritisch sich selbst und seiner Arbeit gegenüber und zerstörte viele seiner Werke. Mit seiner konsequent modernen Art der deformierenden Naturdarstellung, an der er auf konservative Weise festhielt, war Auberjonois nach Ferdinand Hodler eine weitere rätselhafte Leitfigur der Schweizer Kunst, der jedoch ohne Nachfolger blieb. Gaston Faravel und Marcel Poncet, deren Schaffen er sehr früh unterstützte, starben vor ihm. Zudem zeigte er Zeit seines Lebens eine grössere Affinität für Schriftsteller (Charles Ferdinand Ramuz, Gustave Roud, Charles-Albert Cingria, Francis Carco) und Musiker (Igor Strawinsky, Ernest Ansermet, Igor Markevitch) als für Maler (Alexandre Blanchet, Balthus).
Trotz regelmässiger Aufenthalte in Paris blieb er der internationalen Szene und ihren ästhetischen Debatten fern. Die Kontakte mit seinen Schweizer Kollegen Cuno Amiet, Giovanni Giacometti oder auch Louis Moilliet blieben beschränkt. In der Westschweiz übten seine Kunstkritiken aber zusammen mit jenen von Ramuz einen grossen Einfluss aus: So zeigte er wenig Bewunderung für die kubistischen Erfahrungen von Gustave Buchet oder Alice Bailly, verhöhnte Maurice Barraud als mutlos und «Maler des geringsten Widerstands» und warnte vor den Verlockungen der Abstraktion. Damit trug er vielleicht auch dazu bei, dass die Öffentlichkeit nicht auf seine eigenen innovativen Ideen vorbereitet war. Die Polemik um seine Wandbild Belle du Dézaley machte deutlich, dass er in der Westschweiz umstritten blieb und vor allem in der Deutschschweiz Anerkennung fand.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Pierre-André Lienhard, 1998, aktualisiert 2015 Übersetzung: Irene Bisang https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000015
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