ERNI, HANS
* 21.2.1909 LUZERN, † 21.3.2015 LUZERN
Maler, Zeichner und Grafiker.Hans Erni wird als eines von acht Kindern eines Schiffsmaschinisten in Luzern geboren. Nach Lehren als Vermessungstechniker und Bauzeichner 1927–1928 Besuch der Kunstgewerbeschule Luzern. 1928–1929 Aufenthalte in Paris, Académie Julian, 1929–1930 Berlin, 1930–1934 abwechselnd in Luzern und Paris, Mitglied der Gruppe Abstraction-Création. 1935 gemeinsam mit dem marxistischen Philosophen Konrad Farner Gestaltung der Ausstellung These – Antithese – Synthese im Kunstmuseum Luzern.
1937 Mitbegründer der Künstlervereinigung Allianz. 1937–1938 Aufenthalt in London. 1939 gestaltet er Die Schweiz, das Ferienland der Völker, ein hundert Meter langes zwölfteiliges Wandbild für die Schweizerische Landesausstellung in Zürich (heute Zürich, Schweizerisches Landesmuseum); aufgrund eines Wettbewerbes erhält er den Auftrag für eine Banknotenserie, der auf politische Intervention hin von der Nationalbank 1944 abgebrochen wird.
Nach einer Zeit der politischen Ächtung tragen zahlreiche lokale, nationale und internationale Aufträge in den verschiedensten Medien (Wandbild, Plastik, Buchillustration, Plakat, Briefmarken, Bühnenbild und Kostüm) zu einer weit gefächerten Präsenz und einer grossen Beliebtheit in der breiten Öffentlichkeit bei. Mehrere Reisen nach Afrika, in den Nahen Osten, nach Indien, China und Japan erweitern die europaweiten und amerikanischen Kontakte sowie die internationale Wertschätzung. 1969–1976 Mitglied der Eidgenössischen Kunstkommission.
1977 Gründung der Hans Erni Stiftung und 1979 Eröffnung des Hans Erni Museums im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern. Zahlreiche Einzelausstellungen im In- und Ausland sowie umfangreiche Retrospektiven: 1944 Kunstmuseum Luzern; 1961 und 1965 Musée de l’Athénée, Genf; 1966 Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen; 1972 Kunstmuseum Luzern; 1976 Seedamm-Kulturzentrum, Pfäffikon (SZ); Auszeichnungen und öffentliche Ehrungen (unter anderem 1968 Kunstpreis der Stadt Luzern; 1983 UNO-Friedensmedaille; 1984 Ehrennadel der Stadt Luzern). 2009 Retrospektive im Kunstmuseum Luzern zum 100. Geburtstag.
Zeichnerisch ähnlich begabt und in den verschiedensten Medien versiert wie der von ihm verehrte Picasso, findet Erni trotz vielfältiger Kontakte zu Vertretern der Avantgarde und stilsicheren Anfängen in kubistischer, surrealistischer und abstrakt-konkreter Formensprache bereits in den 1930er Jahren seinen eigenen Weg: In einer Synthese von Figuration und Abstraktion entwickelt er in illustrativen Konturgeflechten vor raumlos-abstrakten Farbgründen seinen unverwechselbaren und bis zu seinem Tod beibehaltenen Stil. Intellektuell stark beeinflusst und publizistisch gefördert vom undogmatischen Marxismus Konrad Farners, versteht er seine Kunst (auch über die spätere ideologische Entfremdung von seinem Mentor hinaus) und seine handwerkliche Meisterschaft stets als Mittel zum höheren Zweck humanistischer Welterkenntnis; selbstreflexive Formexperimente sind ihm ebenso fremd wie die Zurschaustellung privater Welten.
Als Autodidakt tief beeindruckt von den geistesgeschichtlichen und technischen Errungenschaften der Menschheit, widmet sich seine figurative Ideenkunst – zumal in seinen hervorragenden Plakaten von einem kritischen Optimismus geleitet – den Beziehungen von Natur, Mensch und Kultur in ihren Spiegelungen in Mythos, Geistesgeschichte, Sport und Technik. Nach den Erschütterungen des Zweiten Weltkriegs erscheint Ernis Hang zur plakativen Allegorie ebenso obsolet wie sein Verharren auf figurativer Virtuosität; dieser doppelten Unzeitgemässheit gesellt sich zudem die ideologische Ablehnung des «kommunistischen» Künstlers durch das lokale und nationale Bürgertum der Wirtschaftswunderzeit. Auch die seit Anfang der 1960er Jahre wachsende Akzeptanz beim breiten Publikum beziehungsweise bei internationalen Auftraggebern vermag die anhaltende Verachtung der Kunstkritik nicht auszuräumen; im Gegenteil: da Ernis Plakativität der Inhalte und Prägnanz des künstlerischen Ausdrucks nicht zuletzt unter der Quantität des Werkausstosses zu leiden beginnen, sich komplexe humanistische Themen oft auf Bildungszitate und die Beherrschung der künstlerischen Mittel zunehmend auf Virtuosität reduzieren, glauben sich Kunstkritik und -wissenschaft umso mehr darin bestärkt, sich mit ein paar hämisch hingeworfenen und immer wiederholten Sentenzen aus der Verantwortung ziehen zu dürfen.
Seit den 1940er Jahren hat man sich tatsächlich kaum ernsthaft mit dem Phänomen Erni befasst – wohl einem der kunsthistoriografisch wie -soziologisch interessantesten Themen der Schweizer Kunst im 20. Jahrhundert überhaupt. Für die Tatsache, lange Zeit in keinem Schweizer Museum angemessen repräsentiert zu sein, kann sich Erni selbst dank seines kommerziellen Erfolgs mit der Errichtung seines eigenen Museums zwar breitenwirksam, aber doch nur vordergründig revanchieren. Jean-Christophe Ammann, der dem Künstler 1972 und 1976 zwei grosse Retrospektiven einrichtet, fasst bereits 1972 das Dilemma der Erni-Rezeption in folgende Worte: «Das Verständnis für das Werk von Hans Erni steht unter dem unglücklichen Vorzeichen eines ständigen Vergleichs mit einer Kunst, deren wesentliches Merkmal [...] darin besteht, sich selbst stets in Frage zu stellen.»
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Juerg Albrecht, 1998, aktualisiert 2015 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000298
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