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Lot 3322 - A193 Schweizer Kunst - Freitag, 03. Juli 2020, 14.00 Uhr

CUNO AMIET

(Solothurn 1868–1961 Oschwand)
Mutter und Kind. 1899, überarbeitet vor 1904.
Tempera auf Leinwand.
Unten links signiert und datiert: C. Amiet 99.
80 × 57 cm.

Provenienz:
- Oscar Miller-Sieber, Biberist, 1899 (ursprünglicher Zustand), direkt beim Künstler erworben.
- Cuno Amiet, Oschwand.
- Willy Russ-Young, Neuenburg, 1928 (zweiter Zustand), bei obigem erworben.
- Sammlung M. Salomon Bénador, bei obigem erworben.
- Durch Erbschaft in heutigen Privatbesitz.

Ausstellungen:
- Bern 1902/3, Ausstellung von Werken bernischer Künstler, Kunstmuseum Bern, 7.12.1902–4.1.1903, Nr. 4.
- Zürich 1913, Eröffnungsausstellung, Neue Galerie Neupert, 15.4.–15.5.1913, Nr. 1, Abb. (zweiter Zustand).
- Genf 1914, Exposition Cuno Amiet, James Vibert, Galerie Moos, 2.3.–31.3.1914 (zweiter Zustand).
- Bern 1928/29, Weihnachtsausstellung bernischer Künstler 1928, Kunsthalle Bern, 1.12.1928–6.1.1929, Nr. 73 (zweiter Zustand).

Quelle:
Cuno Amiet: Verkaufte Bilder, handschriftliches Werkverzeichnis mit Nachzeichnungen der aufgeführten Werke in Tusche und Farbstift sowie Angaben zu Ausstellungen und Provenienzen (zweiter Zustand).

Literatur:
- Oscar Miller: Worin liegt der künstlerische Gehalt der Werke Cuno Amiets, in: Die Schweiz. Schweizerische illustrierte Zeitschrift, 8 (1904), S. 316, mit Abb. (erster Zustand).
- Rudolf Klein: Ferdinand Hodler und die Schweizer, Berlin 1909 (Kunst der Gegenwart 3. Sammlung moderner Künstlermonographien 1), S. 18 , Abb. (erster Zustand).
- Oscar Miller: Von Stoff zu Form. Essays, 4. Revidierte, ergänzte Auflage, Frauenfeld 1913, S. 52.
- Willy Russ: Mes peinures et mes sculptures préférées, Neuenburg 1956, S. 12 (Maternité), mit Abb. (zweiter Zustand).
- Urs Zaugg: Cuno Amiet in fotografischen Dokumenten, Einleitung: George Mauner, Herzogenbuchsee 1985, S. 35, mit Abb. (erster Zustand), 34, mit Abb. (zweiter Zustand).
- George Mauner: Cuno Amiet. Hoffnung und Vergänglichkeit, Aarau: Aargauer Kunsthaus 1991, S. 32 (um 1899–1901), Nr. 12, Abb. (zweiter Zustand).
- Viola Radlach: Cuno Amiet – Giovanni Giacometti. Briefwechsel, Hrsg. Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft 2000, Nr. 131.
- Giovanni Giacometti, Briefwechsel mit seinen Eltern, Freunden und Sammlern, hrsg. Von Viola Radlach, Zürich, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft 2003, Nr. 165.
- Urs Zaugg: Hügelland, Spurensuche nach Trissy Barsch und Frieda Liermann, den ersten Malschülerinnen von Cuno Amiet, private Sonderausgabe, Oschwand 2010, S. 16, Abb. 18 (1901), (erster Zustand).
- Karoline Beltinger: Maltechnische Untersuchungen zu den Gemälden von Cuno Amiet, 1883–1914, Zürich 2014.
- Franz Müller und Viola Radlach: Cuno Amiet. Die Gemälde 1883–1919, Zürich 2014, Bd. 1, S. 174f., Nr. 1899.07, mit Abb.

Die mit ihrem Säugling auf einer Wiese sitzende Mutter ist schon das zentrale Motiv in Cuno Amiets frühem Hauptwerk aus seiner bretonischen Phase von 1892 bis 1893 (Bretonische Wäscherinnen, 1893, ehemals Kunsthaus Zürich, 1931 beim Brad des Glasplastes in München zerstört, Werkkatalog 1893.17).

Das Thema der Mutterschaft durchzieht in der Folge fast sein gesamtes Schaffen. Von der Komposition mit der monumentalen Mutter-Kind-Gruppe in leichter Schrägansicht malte Amiet in den Jahren 1897 bis 1904 vier Fassungen (Mutter mit Kind, 1897, Fondation Saner, Studen, Werkkatalog 1897.07; Mutter und Kind, 1899/vor 1904, Privatbesitz, Werkkatalog 1899.07; Mutter und Kind, 1901, Kunstmuseum St. Gallen, Inv. G 2002.3, Schenkung von Dr. Karl Hensler in Erinnerung an Friedel Hensler-Soraperra, 2002, Werkkatalog 1901.15; Mutter mit Kind in Blumenwiese, 1904, Kunstmuseum St.Gallen, Inv. G 1972.3, Dr. Max Kuhn-Stiftung, 1972, Werkkatalog 1904.13.). Das vorliegende Gemälde ist die zweite Fassung des Sujets. Er malte es in der ersten Jahreshälfte von 1899 für seinen wichtigsten Sammler und Förderer Oscar Miller, den Direktor der Papierfabrik in Biberist. Weil er Probleme in Bezug auf die Haftung der Temperafarben auf der Leinwand feststellte, tauschte Miller schon ein Jahr darauf das Bild bei Amiet gegen ein anderes ein. Auch der zweite nachgewiesene Besitzer war ein bedeutender Kunstsammler; spätestens 1928 befand es sich in der Sammlung des Neuenburger Schokoladefabrikanten Willy Russ-Young. Wohl Ende der 1930er Jahre erwarb es der Vater der jetzigen Besitzerin.

Cuno Amiet nahm die Rückgabe des Bildes durch Miller nicht nur zum Anlass der konservatorischen Behandlung, sondern er veränderte auch die Komposition. Im ursprünglichen Zustand, der auf Fotos dokumentiert ist, verlief ein dunkler Hügelzug unmittelbar unter der oberen Bildkante (siehe Abb. 2). Amiet übermalte diese Partie und ersetzte sie durch eine Reihe von sieben blühenden Bäumchen. Der verbreiterte Streifen des Himmels und die zarten Bäume verleihen der Darstellung im zweiten Zustand eine lichte Weite und heitere Note. Die regelmässige Reihe der fast gleichförmigen Bäume wirkt wie ein Ornament und drängt den naturalistischen Charakter zugunsten einer dekorativen Wirkung zurück. Das Motiv der seriellen Reihung dürfte von Ferdinand Hodlers (1853–1918) Kompositionsprinzip des Parallelismus angeregt worden sein; Amiet war in den Jahren um 1900 mit seinem älteren Kollegen freundschaftlich verbunden und setzte sich intensiv mit seiner Kunst auseinander, bevor er sich ab 1904 von seinem Einfluss emanzipierte. Das Gemälde offenbart denn auch das breite, Gegensätze vereinigende Spektrum von Amiets stilistischen Inspirationsquellen um die Jahrhundertwende. Das ausserordentlich fein in zarten Pastelltönen ausgeführte Inkarnat der Figuren und die sorgfältige Binnenzeichnung verraten seine Beschäftigung mit frühneuzeitlicher Malerei, die noch in der dritten Fassung des Motivs von 1901 (Kunstmuseum St. Gallen, Inv. G. 2002.3) sichtbar ist, während die Versionen von 1897 und 1904 eine betont zeitgenössische stilistische Prägung zeigen. In der lichtvollen Atmosphäre und im hellen Kolorit, vor allem im kühnen, grossflächigen Einsatz der Farbe Gelb scheinen diese nachimpressionistischen Impulse, die Amiet im Kreis der Freunde und Schüler von Paul Gauguin in Pont-Aven erhalten hatte, auch in der vorliegenden Fassung auf. In Bezug auf die Wahl des Motivs mögen Werke des deutschen Malers Hans Thoma (1839–1924) eine Rolle gespielt haben, dessen jedem Zeitbezug enthobene Darstellungen von idyllisch in der Natur aufgehobenen Menschen er damals sehr schätzte. Daneben darf auch die persönliche biografische Situation Amiets in Betracht gezogen werden; 1898 hatte er die Wirtstochter Anna Luder aus Hellsau geheiratet und das Paar freute sich auf die Gründung einer Familie, ein Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen sollte. Trotz der akkuraten Zeichnung der Physiognomien von Mutter und Kind steht der Porträtcharakter nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es um Mutterschaft als universelles Prinzip. Das Motiv ist überhöht zu einer profanen Madonnendarstellung und repräsentiert Amiets symbolistische Bestrebungen um 1900 beispielhaft. Symbolische Funktion hat dabei nicht nur das Motiv, sondern auch die Farbe Gelb – verkörpert in den Blüten des Löwenzahns –, die bei ihm stets für die Jahreszeit des Frühlings und metaphorisch für das aufblühende Leben stand. Sie spielt denn auch in etlichen weiteren Gemälden mit dem Mutter-Kind-Thema und Kindermotiven eine herausragende Rolle. Stellvertretend sei auf die Werkgruppe der "Gelben Mädchen" von 1905 bis 1907 verwiesen, in der Motiv und Farbe in Bezug auf die inhaltliche Aussage gleichsam zur Deckung gebracht sind (Studie zu "Die gelben Mädchen", 1905, Privatbesitz, Werkkatalog 1905.07; Die gelben Mädchen, 1905, ehemals Sammlung Oscar Miller, Biberist, 1931 beim Brand des Glaspalastes in München zerstört, Werkkatalog 1905.08; Studie zu "Die gelben Mädchen", 1905.09, Privatbesitz, Werkkatalog 1905.09; Die gelben Mädchen, um 1907, Kunsthaus Zürich, Inv. 2126, Schenkung Hedwig Kisling, 1930, Werkkatalog 1907.28).

Das vorliegende Gemälde, das sich seit rund acht Jahrzehnten im Besitz der gleichen Familie befindet, war in seinem ursprünglichen Zustand und in der überarbeiteten Version in historischen Schwarzweiss-Aufnahmen überliefert. Es wurde in den vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA), Zürich, 2014 publizierten Werkkatalog der Gemälde Amiets aufgenommen. Bisher ist es jedoch noch nie farbig reproduziert worden. Es kann nun, mehr als 90 Jahre nach seiner letzten Präsentation in einer Ausstellung (Cuno Amiet und seine Schüler, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bern, 1928, Nr. 73) neu entdeckt werden.

Wir danken Dr. Franz Müller für diesen Katalogeintrag.

CHF 380 000 / 480 000 | (€ 391 750 / 494 850)

Verkauft für CHF 833 300 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr