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Lot 3007* - A174 Gemälde Alter Meister - Freitag, 18. September 2015, 15.00 Uhr

MEISTER DES BLICKS AUF SAINTE GUDULE

(tätig in Brüssel, um 1480–1500)
Drei doppelseitig bemalte Tafelfragmente eines Retabels: Heimsuchung Mariä / Heiliger Simon Stock, Heilige Ursula mit Schutzmantel / Tempelgang Mariens.
Öl auf Eichenholz.
103,5 x 86 cm.


Gutachten: Dr. Michaela Schedl, 15.6.2015.

Provenienz:
- Privatsammlung Frankreich, bis ca. 2005.
- Von obigem erworben, europäische Privatsammlung.

Diese hier angebotenen, äusserst qualitätsvollen Tafeln tauchten kürzlich in einer Privatsammlung auf, wo sie über Jahrzehnte unentdeckt geblieben waren. Die Zuweisung an den Meister des Blicks auf Sainte Gudule wurde von Dr. Stephan Kemperdick anhand von Fotografien vorgeschlagen, dessen Notname im Zusammenhang mit der Tafel im Louvre in Paris geprägt wurde, auf der der Heilige Géry im Gebet vor der Westfassade der Brüsseler Kirche Sainte Gudule (Heilige Gudula) dargestellt ist. In ihrem Gutachten gelingt es Dr. Michaela Schedl in überzeugender Weise einen Zusammenhang unserer Tafel mit der Arbeit des Tempelgangs Mariens in den Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel und ihrer ursprünglichen Funktion als Flügel eines Retabels herzustellen (zu der Brüsseler Tafel siehe Syfer-d'Olne, Pascale u.a.: The Flemish Primitives. Catalogue of Early Netherlandish Painting in the Royal Museum of Fine Arts of Belgium, Band 4, Brüssel 2006, S. 366-376, sowie Bücken, Véronique / Steyaert, G.: L'héritage de Rogier van der Weyden. La peinture à Bruxelles 1450 - 1520, Bruxelles, Musées Royaux des Beaux-Arts, 2013, Nr. 78, S. 312). Das hier angebotene Los besteht aus drei Teilen, die sich wie folgt identifizieren lassen: Die beidseitig bemalte grössere Tafel zeigt auf der einen Seite den Heiligen Simon Stock (a), der dem Orden der Karmeliter angehörte und der Überlieferung nach als Einsiedler in einem Baumstamm lebte, der auch hier abgebildet ist. Von diesem Baumstamm, der im Altenglisch und auch auf Mittelhochdeutsch "stoc" genannt wurde, leitet sich wohl auch der Beiname des heiligen Mönchs ab. In einer Vision soll ihm die Muttergottes erschienen sein, die ihm - wie hier dargestellt - das Skapelier überbringt. Mit diesem Überwurf, der über der Tunika der Ordenstracht getragen wurde, sollte jeder gerettet werden, der darin in Gefahr gerät, wie es auch in der Sprechblase der Muttergottes geschrieben steht. Auf der Rückseite der Tafel ist die Heimsuchung Mariäs dagestellt (b). Das schmale erhaltene Fragment zeigt einen Ausschnitt aus der Darstellung der Heiligen Ursula mit Schutzmantel (c) und rückseitig eine Treppe mit flachen Stufen und einem filigranen Eisengeländer sowie links einen Ausschnitt eines weissen Gewandes und hochstehenden Engelsflügeln (d). Dr. Schedl stellt den Zusammenhang dieses Ausschnitts mit der Tafel des Tempelgangs Mariens in Brüssel her, wo das Eisengeländer fortgeführt wird, sowie die Ergänzung des Engels im weissen Gewand zu sehen ist (Abb. 1). Auf der Brüsseler Tafel finden wir zudem die vergoldeten, mit einer schwarzen Linie umrandeten Nimben wieder, wie ihn auch der Hl. Simon Stock trägt. Ein Vergleich der Gesichter der beiden männlichen Heiligen auf den Tafeln in Brüssel mit unserem Fragment zeigt deutlich, dass diese vom selben Meister stammen. Zudem wird im Brüsseler Katalog erwähnt, dass sich die Darstellung einer Hl. Ursula auf der Tafelrückseite befand (Syfer-d'Olne 2006, S. 366-376). Unsere Tafeln sowie die im Museum in Brüssel gehörten sehr wahrscheinlich ursprünglich zu einem Retabel, das mindestens diese beiden Tafeln als Flügel zeigte. Bei einem Flügelretabel hätte sich auf den Außenseiten links die Hl. Ursula mit Schutzmantel befunden, rechts der Hl. Simon Stock. Geöffnet wäre links der Tempelgang Mariens, rechts die Heimsuchung Mariens, in der Mitte sehr wahrscheinlich ein Skulpturenschrein zu sehen gewesen. Da hier der Karmeliterheilige Simon Stock gezeigt ist, könnte das Retabel ursprünglich für eine Karmeliterkirche entstanden sein. Dabei datiert Dr. Schedl unsere Tafel im selben Entstehungszeitraum wie die Pariser und die Brüsseler Tafeln, zwischen 1480 und 1500. Dass dem Meister des Blicks auf Sainte Gudule Werke seines Vorgängers Rogier van der Weyden (um 1400-1464), der wie er in Brüssel tätig war und dort 1464 verstarb, bzw. seiner Werkstatt bekannt waren, lässt sich an der Szene der Heimsuchung besonders deutlich erkennen. Eine wohl in Van der Weydens Werkstatt um 1440 entstandene Tafel in der Galleria Sabauda Turin zeigt die beiden ähnlich einander zugewandten Frauen in vergleichbarer Kleidung. Auch den Landschaftshintergrund sowie die Gebäude platziert der in Brüssel tätige Meister ähnlich wie Van der Weyden, von dem er sich allerdings stilistisch vor allem bei der Wiedergabe der Gesichter unterscheidet. Der Meister des Blicks auf Sainte Gudule gestaltet seine Gesichter voluminöser mit weicheren Formen und verwendet vielfach einen goldenen Scheibennimbus. Die raffinierte und subtile Malerei des Meisters des Blicks auf Sainte Gudule lässt sich an einem Ausschnitt aus der Tafel mit dem Hl. Simon Stock besonders gut erkennen: Über das leicht rötliche Inkarnat setzt der Maler stellenweise einen zarten Farbauftrag mit Weiß, um die Konturen der Wangen oder die Augenhöhlen herauszuarbeiten. Mit einem dickeren Farbauftrag malt er verschiedentlich Weißhöhungen, beispielsweise an der Nasenspitze, dem Nasenrücken oder um den Bereich des Mundes. Mit lockerem Pinsel sind die Augenbrauen und die Haare des Heiligen gemalt. Wir danken Dr. Stephan Kemperdick und Dr. Michaela Schedl für die wissenschaftliche Unterstützung bei diesem Katalogeintrag.

CHF 8 000 / 12 000 | (€ 8 250 / 12 370)

Verkauft für CHF 72 500 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr