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Lot 3480* - Z40 PostWar & Contemporary - Samstag, 25. Juni 2016, 14.00 Uhr

ANSELM KIEFER

(Donaueschingen 1945 - lebt und arbeitet u.a. in Paris)
Nigredo-Albedo-Rubedo. 2006.
Öl, Emulsion, Blei, Holz, Terrakottaerde, Stoff und Draht sowie 5 getrocknete Sonnenblumen. Gebunden als Buch mit 9 Seiten, jede Seite mit Karton und Hartfaserplatte.
Je 196 x 140 cm. Sonnenblumen maximal 430 cm.


Provenienz:
- 2007/2008 vom heutigen Besitzer bei Galerie Thaddaeus Ropac, Paris, erworben.
- Seitdem Privatbesitz.

Anselm Kiefer wird zwei Monate vor Kriegsende in Donaueschingen geboren. Seine Kindheit im zerbombten Nachkriegsdeutschland wird seine Kunst massgeblich beeinflussen. Schon als Kind wird sein künstlerisches Interesse und Talent sichtbar. Nach dem Abbruch eines Studiums für Rechtswissenschaften und Romanistik, schreibt er sich für ein Kunststudium in Karlsruhe bei Horst Antes ein. Mit dem Wechsel nach Düsseldorf wird Joseph Beuys sein Mentor. Mit ihm teilt er seine Faszination und Vorliebe für ungewohnte Materialien wie Blei, Asche, Erde, Sand, Blumen und Stroh. Seine Werke sind geprägt von der Geschichte, und er wird oft als moderner Historienmaler beschrieben. Die deutsche Geschichte, die Ruinen und Landschaften sowie später auch Mythologie und Kabbala, sind nur einige der Themen, die sein Gesamtwerk prägen; doch seine Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte ist das Thema, das sein Oeuvre einzigartig macht. Er hält den Menschen in seinen Werken den Spiegel vor und lässt uns alte Geschichtswunden betrachten und drängt zur Aufarbeitung.

In seinen frühen Werken stellt Kiefer sich die Frage, ob es nach dem Holocaust und der Beschlagnahmung der Kultur und Kunst durch die Nationalsozialisten noch möglich ist „deutscher Künstler“ zu sein. Seine Werke setzen sich daher unerschrocken mit der Geschichte auseinander, versuchen diese auszugraben, ins Bewusstsein zu rufen und zu überwinden. In riesigen Formaten mit vielen verschiedenen Materialien und Techniken verarbeitet Kiefer diese Themen. Durch expressiven, starken Farbauftrag, verschiedene Malschichten, Emulsionen, Brenner, collagierte Applikationen, Fotos, Inschriften und Bilder werden diese Arbeiten zu vielschichtigen Akten, in denen der Prozess und die Technik des Malens zum Thema werden und die übergeordnete Intention der Arbeit unterstützen und verdeutlichen.

Seine Karriere beginnt 1969 mit einem Skandal: In der Serie „Besetzungen“ übt er in verschiedenen deutschen Städten den Hitlergruss aus. Die öffentliche Empörung ist gross, doch ist es für ihn ein Weg gewesen, sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen, Kritik zu üben und sich mit der eigenen Geschichte und dem „Deutsch sein“ zu identifizieren. 1973 folgt eine Ausstellung mit einer Werkreihe mit biblischen und deutschen mythologischen Themen. Den Werken sind, wie für sein Schaffen üblich, Namen, Zitate und Bezeichnungen eingeschrieben. Es folgen auch monumentale Landschaften wie “Märkische Heide”, ein Motiv, das er öfter als Symbol des Preussentums aufgreift. Kiefer wird oft als Landschaftsmaler bezeichnet - auch wenn er sich selbst nicht als solcher sieht -, denn Landschaften sind ein Leitmotiv seines Oeuvres. Das Land wird von menschlichen Ereignissen und ihrer Geschichte geprägt und auf ewig dadurch markiert. Diese Wunden, Spuren und Zeichen sind die Faszination, aber auch Tiefgründigkeit seines Schaffens. Seine erste Installation “Die Frauen der Revolution” findet um 1984 statt. 13 Bleibetten sind mit zerknitterten Bleilaken überzogen und in ihrer Mitte befindet sich eine wassergefüllte Delle. Jedes Bett trägt ein Papierschild mit 22 Namen von Frauen, die während der Französischen Revolution eine wichtige Rolle gespielt haben. Es entstehen weitere grosse Arbeiten aus Blei, wie seine berühmten Flugzeuge, Raketen und Bücher.

Bei unserem grossformatigen Buch lassen sich etliche Details, Muster, Materialien und Techniken entdecken: Öl, Emulsion, Blei, Holz, Terrakottaerde, Stoff und Draht sowie 5 getrocknete Sonnenblumen. Auf einigen Seiten wachsen riesige Sonnenblumen aus der Terrakottaerde heraus. Eindrücklich nutzt Kiefer seine Materialien, um die Abgestorbenheit und Vergänglichkeit der Natur dem Betrachter vor Augen zu führen. Die Sonnenblumen sind vertrocknet, wirken teilweise verkohlt, die Erde ist aufgebrochen und das Abbrökeln der fragilen Terrakottaerde ist unausweichlich. Gesteigert wird diese melancholische Ästhetik durch seine bevorzugte Farbe Grau. Schon allein das eindrucksvolle Format dieser Arbeit vermittelt ein Gefühl der unheilvollen und ungeheuerlichen Erfahrung dieser dunkeln Landschaft. Doch auch in dieser kargen Szenerie lassen sich hoffnungsvolle Details finden, die auf eine mögliche Transformation hindeuten. Die weissen Akzente, die sich fast aus einer Kreisbewegung aus dem Dunkel hervorheben, und die feinen goldenen Linien am Oberrand könnten eine solche Änderung ankündigen; und auch wenn die Sonnenblumen vertrocknet sind, haben sie doch auch eine positive Konnotation.

Nicht zuletzt der Titel unseres Werkes „Nigredo-Albedo-Rubedo“ hat eine grosse Symbolkraft und verdeutlicht eindrücklich Kiefers Interesse an europäischer Mystik. Ursprünglich stammen diese drei Worte aus dem „Opus Magnum“ der mittelalterlichen Alchemie, in dem die Umwandlung eines jeden Stoffes in Gold in vier, später drei Stufen, unterteilt wird: Nigredo, die Schwärze, bezeichnet den Anfang und den Urzustand der Materie; es folgen Albedo – die Weissung, citrinitas – die Gelbung, und letztendlich die eigentliche Umwandlung: rubedo – die Rötung. Parallel zur sogenannten praktischen Alchemie werden diese Ideenansätze auch von der abendländischen Mystik aufgegriffen. Dabei ist das Ziel natürlich nicht mehr die Umwandlung eines Stoffes in Gold, sondern die Vollendung des Menschen. Eine mögliche Übersetzung findet sich bei Gustav Meyrink (1868-1932): nigredo (Schwärzung) – Individation, Reinigung; albedo (Weissung) – Vergeistigung, Erleuchtung; rubedo (Rötung) – Vereinigung des Menschen mit Gott, Vereinigung des Begrenzten mit dem Unbegrenzbaren (siehe: wikipediaAlchemie). Somit versinnbildlicht auch der Titel eine mögliche, positive Transformation.

CHF 300 000 / 400 000 | (€ 309 280 / 412 370)

Verkauft für CHF 360 500 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr