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Lot 1718 - A189 Photographie - Donnerstag, 27. Juni 2019, 16.30 Uhr

ERWIN WURM

(1954)
Untitled (Michael Ransburg). Aus der Serie "Hamlet", 2007.
Silbergelatine-Abzug. Vintage.
24 x 30 cm.
Verso mit eigenhändiger Widmung, datiert. Unter Passepartout montiert, gerahmt.

Literatur:
- Erwin Wurm. Fat Survival. Handlungsformen der Skulptur. Ausstellungskatalog. Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum. 28.01.-31.03.2002. Hrsg. von Peter Weibel. Ostfildern, 2002.
- Gabriella Bussacker, Elisabeth Plessen, et al. Hamlet: von William Shakespeare. Zürich, 2006 (Ausschnitt Abb. S. 11).
- Erwin Wurm. Ausstellungskatalog. Kunstmuseum Bonn. 25.03.2010-06.06.2010. Hrsg. von Bernd Müller. Köln, 2010 (Abb. 270-271).

Provenienz:
- Geschenk vom Künstler.
- Schweizer Privatbesitz.

Erwin Wurm gilt als einer der erfolgreichtsten und international bekanntesten österreichischen noch lebenden Künstler. Es sind wohl vor allem die Photographien seiner schrägen „One Minute Sculptures“, die ihn bekannt gemacht haben und ihm sein Leben lang nachhängen werden. Ob Gebeine, die aus einer Mülltone reichen, ein Oberkörper, der in einem Gebäude zu stecken scheint, ein Mann, der den Kopf in eine Wand steckt - Wurm weiss Alltagssituationen auf groteske, surrealistische, abstrakte und zugleich witzige Art in Szene zu setzen.
Auf einmal wollten sich alle in den Ein-Minuten-Skulpturen verewigen lassen. Das hatte alsbald zur Folge, das Wurm die Lust an dem Werk-Komplex verlor und diesen 2007 ad acta legte. Die Photographien hat er stets als Dokumente, nicht als Kunstwerke gedacht.

In den Strassen der Stadt Zürich, genauer gesagt auf der Seestrasse zwischen Belvoir- und Rietbergpark, steckt ein Körper mitten im Fussgängerweg, dem das Hauptaugenmerk dieser Szene gilt. Aber anders als man es erwarten würde, ist dieser um 180 Grad gedreht, Kopfvoran steckt ein Viertel des Körpers der Figur im Asphalt des Gehsteigs. Die Person streckt die Beine strenggerade in die Luft, hat die Arme und Hände ebenso diszipliniert in gerader Haltung, als würde sie eine akrobatische Turnübung machen. Nichts ist hier dem Zufall überlassen. Der Künstler hat dem Schauspieler Michael Ransburg, der hier kopfüber im Boden steckt, genaue Anweisungen gegeben, die zu befolgen sind. Die Absurdität des Bildes dient als Mittel zum Zweck, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erlangen. Die Werke Wurms sind stets von schwarzem Humor geprägt und mischen insbesondere in den „One Minute Sculptures“ Slapstick, Groteske, Übertreibung und Lächerlichkeit. „Mit seinen konsequent ins Absurde weitergedachten Körperbildern zeigt Wurm im wörtlichen Sinn die Perversion der menschlichen Existenz: Eine Verdrehung eine Umkehrung, welche die Subjekte zu marionettenhaften Sklaven ihrer Objekte macht.“ (Stephan Berg, Vorwort, Ausstellungskatalog Bonn, S. 8). Aber was ist genau eine solche ein-minütige Skulptur? Ist es die Aktion, die Pose des Schauspielers oder die Photographie? Wurm erneuert das Konzept des Skulpturbegriffs, indem er die Performance und die Dokumentation miteinander verbindet. Um die Aktion zu dokumentieren, wird sie „…inklusive Vor- und Nachbereitung auf Video aufgezeichnet und die ‚Skulptur‘ fotografiert. Die Zeichnungen, Videos und Fotos ergeben somit ein komplettes ‚Archiv‘ des Programms, seines Realisierungsprozesses und des Ergebnisses. Nur fehlt natürlich die Skulptur ‚an sich‘, das heisst die Konfiguration einer Person und/oder von Objekten an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt.“ (Michael Newman. „Fotografie und Video als Skulptur im Werk von Erwin Wurm“. In: Weibel 2002, S. 11-17 hier S. 13). Eine Photographie ist immer eine Wiedergabe eines vergänglichen Momentes. Im vorliegenden Fall dient die Photographie aber als Mittel zum Zweck. Wurm hinterfragt das Wesen des Kunstwerkes: Ist die Performance die Kunst, die Photographie, das Video, das Konzept oder eine Mischung aus all dem und wie kann man dieses Kunstwerk am besten vermitteln? Was ist eine Skulptur? Was ist Kunst überhaupt? Auf den ersten Blick scheint die vorliegende Photographie ein Schnappschuss zu sein, ein alltägliches Szenenbild, ohne grösseren Anspruch an die technischen (Licht, Farbe, Technik, etc.) und kompositorischen Merkmale. Zentralperspektivisch, mit Fluchtpunkt der Diagonalen zum Horizont, Senkrechten, Parallelen und in gewisser Weise Symmetrien, sprechen aber gegen die Ästhetik eines Alltagsbildes, die Aufnahme ist kompositorisch perfekt aufgebaut. Mit Sarkasmus, Kritik, Ironie und Paradoxie erlaubt der Künstler dem Werk einen Freiraum, der sonst verwehrt bleibt: „Die Zulassung von Alltag, von Nicht-Kunst in der Kunst, ebenso wie die Zulassung des Zufalls sind bekannte Errungenschaften der Kunst, die nun durch Wurm verschärft werden in der Kontingenz des Subjekts, in der One Minute Sculpture. Die Idee, die Anweisung, der Algorithmus, die Maschine zur Herstellung von Kunst wird zu einer Anordnung zur Herstellung von Zukunft, zu einem Ensemble von Experimentalsystemen, wo die Zeitstruktur selbst am Werk ist. Die Objekte und Operationen der handelnden Personen hinterlassen Spuren im Medium Fotografie.“ (Peter Weibel. „Erwin Wurm: Handlungsformen der Skulptur“. In: Weibel 2002, S. 3-10 hier S. 10).

Die Aufnahme wurde vom Schauspielhaus Zürichs für das Programmheft und die Plakate der Inszenierung von Hamlet von Jan Bosse (2.3.-25.4.2007) in Auftrag gegeben. In einer Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich wurden elf Photographien aus der Serie zum ersten Mal öffentlich ausgestellt.

CHF 1 000 / 1 500 | (€ 1 030 / 1 550)


Verkauft für CHF 750 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr