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Lot 3243* - A190 Gemälde des 19. Jahrhunderts - Freitag, 27. September 2019, 16.00 Uhr

CARL SPITZWEG

(1808 München 1885)
Schulmädchen im Walde. Um 1874.
Öl auf Karton.
Unten rechts monogrammiert: S im Rhombus (Typus um 1870).
22 × 26,5 cm.

Gutachten:
- Adolf Alt, 30.3.1939 (als Kopie im Gutachten von Siegfried Wichmann vermerkt).
- Siegfried Wichmann, 25.4.1995 (ausführlich).

Provenienz:
- Nachlass Carl Spitzweg.
- Sammlung Otto Spitzweg, bis 1908.
- Sammlung Richard Spitzweg, ab 1908 (direkte Erbfolge).
- Europäischer Privatbesitz.

Literatur:
- Guenther Roennefahrt: Carl Spitzweg, Beschreibendes Verzeichnis seiner Gemälde, Ölstudien und Aquarelle, München 1960, Nr. 485, S. 187 (mit Abb.)
- Siegfried Wichmann: Carl Spitzweg. Schulkinder im Walde. Dokumentation, Starnberg-München R.f.v.u.a.K. 1994, S. 5ff, Bayer. Staatsbibl. München, Inv. Nr. Ana 656 SW 61.
- Siegfried Wichmann: Carl Spitzweg. Verzeichnis der Werke. Gemälde und Aquarelle, Stuttgart 2002, S. 393, Nr. 896 (mit Farbabb).

Die Popularität von Carl Spitzweg hält bis heute an. So reicht auch seine kunsthistorische Bedeutung weit über den Ruf des „Biedermeiermalers“ hinaus, der geprägt wurde durch Gemälde wie der „Arme Poet“. Die Vielschichtigkeit und Verschiedenartigkeit sowohl seiner Person als auch seines Oeuvres wurde durch namenhafte Kunsthistoriker aufgearbeitet und ausführlich dokumentiert. Gerade seine späteren Landschaftsdarstellungen zeigen die sich langsam entwickelnde impressionistische Freiheit seiner Naturauffassung. Spitzwegs Malerei wird immer offener und lichtdurchfluteter, der anekdotenhafte Aspekt tritt in den Hintergrund. Wie in dem hier angebotenen Gemälde „Schulmädchen im Walde“ (um 1874) bleibt jedoch der erzählerische Moment der Figurenstaffage lange parallel bestehen. Der Kunstkritiker und Museumsdirektor Hugo von Tschudi beschreibt Spitzweg 1906 als einen Pionier der modernen Malerei.

"Mit Spitzweg tritt zum ersten Mal der Einfluß der Schule von Barbizon in die Münchner Kunst und an ein Stoffgebiet, für das er am wenigsten geeignet schien. Man denke: Das Kolorit von Diaz und der Humor und die Dachkammerpoesie des deutschen Biedermeiers, wie soll sich das vertragen. Aber es verträgt sich ausgezeichnet, denn Spitzweg ist ein so vortrefflicher Maler, daß die Freude an der farblichen Gestaltung zunächst alles überwiegt" (zit aus Ausst.Kat: Von Spitzweg zu Sisi: Kunst und Kunsthandwerk des 19. Jahrhunderts. Die Sammlung Werner Friedrich Ott, Stadtmuseum Ingolstadt, 2017, S. 22).

Mit dem Motiv der Schulkinder im Wald beschäftigt sich Carl Spitzweg vor allem ab Mitte der 1850er-Jahre, wie die bei Roennefahrt und Wichmann verzeichneten Gemälde belegen. Die im grossen Hochwald wandernden Kinder waren ein aktuelles Thema seiner Zeit. Viele Kinder mussten oft weite und gefährliche Strecken durch den Gebirgswald zurücklegen von ihren Einödhöfen im Hochgebirge zu den Schulen im Tal. Spitzweg begegnete diesen häufig auf seinen Wanderungen und entwickelte daraus ein sehr persönliches Thema wie sein Gedicht belegt:

Stehts wandeln wir am Abgrund dicht,
Wo Tief und Dunkel schrecken,
Aus dem ein Tod und letzt‘ Gericht
Die Drachenhälse recken!
Wir wandeln, ahnen nicht Gefahr,
So sorglos wie die Kinder….

Bei vorliegendem Werk handelt es sich um eine besonders reizvolle Version mit einer zentralen, farbintensiven Figurengruppe im Vordergrund und einer weiteren in der Ferne. Die Freiheit seines späten Stils ist in den kühn hingeworfenen Details und der Leichtigkeit des Pinselduktus erkennbar, der Reiz des Skizzenhaften bricht sich Bahn. Die für diesen Bildzyklus typische Komposition wird durch die harmonische Figurengruppe im Vordergrund dominiert. Der schmale, dunkle Weg durch den Wald lenkt den Blick in die Tiefe, wo eine weitere Kindergruppe im Licht wartet. Der dramatische Hell-Dunkel-Kontrast rhythmisiert die Komposition und betont die Dreiergruppe in der Bildmitte, die von einer Votivtafel am rechten Rand eingerahmt wird. Prof. Wichmann weist in seiner Expertise darauf hin, wie beliebt das Thema damals war, nicht zuletzt wegen der bitter-romantischen Stimmung dieser Zeit, die einen Widerhall im Bild findet in der Diskrepanz zwischen bedrohlicher Naturgewalt und faszinierender Schönheit und Unbekümmertheit der Menschen. Wichmanns Beschreibung des Gemäldes als „Kleinod feinster Malkultur (…. welches) zu den avantgardistischen Bildern des Malers gehört, der damit die Münchner Malschule in eine bedeutende Maltradition lenkte“ unterstreicht die ausserordentliche malerische Qualität des hier angebotenen Werkes. Auch Adolf Alt weist in seinem Gutachten von 1939 auf den in diesem Gemälde deutlich sichtbaren Einfluss der Schule von Barbizon hin und auf die zukunftsweisende Brücke, die der Künstler zur Moderne schlägt.

CHF 70 000 / 100 000 | (€ 72 160 / 103 090)