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Lot 3209* - A160 Gemälde des 19. Jahrhunderts - Freitag, 30. März 2012, 16.30 Uhr

CARL SPITZWEG

(1808 München 1885)
Die Lektüre. Um 1870-75.
Öl auf Malkarton.
Unten rechts signiert: S im Rhombus.
26,5 x 21,6 cm.

Provenienz: - Nachlass Carl Spitzweg. - Otto Spitzweg bis 1906. - Sammlung Bernhard Lippert, Magdeburg (dort gesehen von Peter Nathan noch zu Beginn der 1920er Jahre). - Privatsammlung, Zürich, Schweiz. - Sammlung Hans-Günther Sohl, Düsseldorf, 1967. - Privatsammlung. Ausstellungen: - Nationalgalerie Berlin, 23. Sonderausstellung, Nov./Dez. 1886, Nr. 10, mit dem Titel: "Alter Herr vor dem Frühstückstisch stehend und lesend". - Rudolfinum, Prag, Spitzweg-Ausstellung 1887, Nr. 105, aus dem Besitz von Otto Spitzweg, mit dem Titel "Zeitungsleser beim Frühstück". - Nationalgalerie Berlin, "Deutsche Jahrhundertausstellung" 1906, Nr. 1675, Abb. Bd. II, S. 521, aus dem Besitz von Bernhard Lippert, Magdeburg. Literatur: - Vogel, J.: Carl Spitzweg. Acht Gemälde. Seemanns Künstlermappen, Leipzig 1921. - Boehn, M. v.: Carl Spitzweg. 4. Aufl., Bielefeld/Leipzig 1937, Farbabb. nach S. 8. - Roennefahrt, Günther: Beschreibendes Verzeichnis seiner Gemälde, Ölstudien und Aquarelle, München, 1960, S. 230, no. 881, mit Abbildung. - Wichmann, S.: Carl Spitzweg. Die Skizze und das fertige Bild. Dokumentation, Starnberg-München, R.f.v.u.a.K. 2000, S. 12, Bayer. Staatsbibl. München, Inv.-Nr. Ana 656 SW 158. - Wichmann, S.: Carl Spitzweg. Die Lektüre. Dokumentation, Starnberg-München, R.f.v.u.a.K. 1997, S. 12, Bayer. Staatsbibl. München, Inv.-Nr. Ana 656 SW 148. - Wichmann, S.: Carl Spitzweg, Werkverzeichnis der Werke - Gemälde und Aquarelle, Stuttgart 2002, S. 272, Nr. 522 mit Farbabbildung (mit irrtümlichen Maßgaben von 28,2 x 23,3 cm aufgrund von falschen Angaben durch den Düsseldorfer Sammler). Die Zeit scheint stillzustehen. Kein Blättchen regt sich. Wie er dasteht in seinem Morgenrock, ganz in seine Lektüre vertieft, in der Rechten die Pfeife und vor sich die Reste einer Mahlzeit, vermittelt der Lesende ein vollkommenes Bild bürgerlicher Behaglichkeit. Nichts dringt vom Lärm dieser Welt in die geschützte Oase stiller Rückgezogenheit. Von den bewegten Zeiten vor den Mauern, vom Deutsch-Französischen Krieg, von Reichsgründung und Wirtschaftsboom, erfährt er aus der Zeitung. Nur das beruhigende Plätschern des kleinen Springbrunnens meint man zu vernehmen, und das Picken der Amsel, die sich ein paar Krumen vom Tisch stibitzt. Eine leise, augenzwinkernde Geste der Ironie seitens des Malers, hat er doch zwei Vogelbauer an die Hauswand gehängt, in der unser Bildungsbürger seine Vögel hält, während sich unten der freie kleine Dieb unbemerkt über das Frühstück hermachen kann. Überhaupt konzentriert sich der Leser so intensiv auf seinen Text, dass seiner Aufmerksamkeit einiges entgeht. Aus seinem Morgenrock quillt ein Taschentuch, die Tischdecke liegt schief, Moos und Flechten erobern den cremefarbenen Wandverputz und die Ritzen von Mauern und Treppe. Der Standpunkt des Betrachters muss sich etwas unterhalb von dem des Lesenden befinden. Dadurch erlaubt uns Spitzweg drei unterschiedliche Einblicke. Links oben verliert sich der Blick im dunklen, von einem weissen Vorhang umspielten Inneren eines Zimmers. Rechts oben kann er an der Tiefe der Hauswand entlang in das Blau von Himmel und Wolken gleiten, und in der rechten unteren Bildecke ist durch einen gemauerten Bogen die Öffnung eines Gewölbes angedeutet. Spitzweg gewährt uns Betrachtern also gleichzeitig Detailgenauigkeit aus nächster Nähe, verführt das Auge in die Unendlichkeit der Ferne und verwehrt uns Neugierigen doch das Private des Wohnraums. Diese Komplexität erzielt Spitzweg durch starke Tiefenschärfe, die er beispielsweise durch eine extreme optische Verkürzung insbesondere der ins Dunkel getauchten Hauswand rechts oben erreicht, und mittels sorgfältig modellierter Licht-Schatten-Effekte. Geschickt leuchtet er ein vielschichtiges Gewebe von Horizontalen, Vertikalen und Diagonalen der dominanten Architekturelemente aus, um die scharfen Kanten durch die weichen Konturen des Vegetabilen wieder abzumildern. Ein besonders schönes Beispiel findet sich am oberen Bildrand. Über dem Fenster deutet der Maler dort einen Mauervorsprung in Bogenform an, den er dann, kaum wahrnehmbar, durch die Blätter des Baums rechts wieder aufnehmen lässt. Dieselbe Kulisse erprobte Spitzweg um 1855-60 im "Blumenfreund" (Wichmann, WVZ 2002, Nr. 524, S. 272, aus Privatbesitz), der rechts oben nur einen sehr kleinen Ausblick in den Himmel zulässt und anstatt des Lesenden einen Mann zeigt, der seine Blumen giesst. Der "Kakteenfreund mit Kosakenmütze" (Wichmann, WVZ 2002, Nr. 744, S. 337, aus Florentiner Privatbesitz) hat seine Sammelstücke auf der Mauer aufgereiht. Unser Motiv der "Lektüre" findet sich bereits in einem um 1860 zu datierenden Werk (Wichmann, WVZ 2002, Nr. 523, S. 272, ebenfalls Privatbesitz). Spitzweg-Experte Prof. Siegfried Wichmann bezeichnet in einem Schreiben vom Dezember 2009 das hier angebotene Gemälde, welches bis 1906 im Besitz des Spitzweg-Neffen Otto war, als unbezweifelbar beste Version dieses Themas und räumt ihm dort eine "Vorrangstellung im Werke von Carl Spitzweg" ein.

CHF 90 000 / 120 000 | (€ 92 780 / 123 710)

Verkauft für CHF 240 000 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr