KUNZ, EMMA
* 23.5.1892 BRITTNAU, † 16.1.1963 WALDSTATT
Naturheilpraktikerin, Forscherin, Zeichnerin und Malerin.
Die Eltern von Emma Kunz waren arme Handwebersleute. Der Vater trank und nahm sich 1909 das Leben, zwei Geschwister starben früh. 1910 fing Emma an, ihre Begabungen in Telepathie, Prophetie sowie als Heilpraktikerin zu nutzen und begann zu pendeln. Neunzehnjährig reiste sie auf den Spuren ihrer Jugendliebe allein nach Amerika. Allegorisch oder direkt – sie hat den Mann nicht gefunden. Die Rückkehr in den Aargau war bitter, der Spott der Dorfgemeinschaft hämisch. Man nannte sie nach ihrem Fluchtpunkt Philadelphia. Um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, arbeitete sie 1912 in der Strickerei Künzli in Strengelbach.
Zwischen 1923 und 1939 wurde sie von der Familie des Kunstmalers und Kritikers Jakob Friedrich Welti während der Sommermonate als Haushälterin und Gesellschafterin in Engelberg engagiert. In diesem Umfeld bekam das Schöngeistige in ihrem Leben Auftrieb. Erstes Zeugnis davon ist der 1930 veröffentlichte Gedichtband Leben. Erst als vierzigjährige Frau wurde sie sich ihrer eigentlichen Bestimmung bewusst, der Suche und positiven Nutzbarmachung von Kräften und Strahlen. 1938 entstanden auf Millimeterpapier die ersten Zeichnungen aus Eingebung. Entsprechend dem pythagoreischen Symbol für Gesundheit, das in einer Linie gezeichnete Pentagramm, liess sich Emma Kunz von Freunden Penta nennen. Sie zog zu ihren beiden ledigen Schwestern nach Brittnau, wo sie bis 1947 wohnte. Die durch das Magnetisieren herbeigeführten Heilerfolge machten sie weitherum bekannt.
1942 entdeckte sie im Römersteinbruch von Würenlos, dem heutigen Emma Kunz Zentrum, das Heilgestein Aion A. Mit dem gereinigten und gemahlenen Muschelkalk hat sie den an Kinderlähmung leidenden Sohn der Steinbruchbesitzer und ihren späteren Nachlassverwalter behandelt. Bis heute besuchen Menschen die in den Fels geschlagene Grotte, um besondere Erdkräfte zu spüren. Von 1948 bis1951 wohnte Emma Kunz in Lungern, bevor sie sich im Kanton Appenzell Ausserrhoden niederliess, einer traditionellen Hochburg der Naturheilkunde. Hier, in Waldstatt, wohnte und arbeitete sie bis zum Tod, empfing Hilfesuchende in ihrem Haus, betrieb Radiästhesie und Alchemie, polarisierte im grossen Heilpflanzengarten Ringelblumen und forschte nach Salben und Tinkturen. In den 1950er Jahren brachte die Naturheilpraktikerin zwei fast identische Publikationen zu der von ihr entwickelten Zeichenmethode heraus: Das Wunder schöpfender Offenbarung und Neuartige Zeichnungsmethode, worin sie den kryptischen Code zu ihrem System offenlegte.
Emma Kunz strebte mit ihrem Bildwerk nie das rein ästhetische Artefakt an. Die rund 500 mit Blei- und Farbstiften sowie Ölkreide ausgeführten Zeichnungen illustrieren die Denkmodelle ihrer Urheberin. Penta zeichnete, weil sie Gesetzmässigkeiten in sich spürte, die sie auf Millimeterpapier konkretisierte. Sie setzte dem Energiestrom folgend Punkte, zog Schwerlinien, die den systematisch vernetzten, planartigen Charakter der Kompositionen bestimmen. Kunz‘ ästhetische Dimension kann mit jener der anthroposophischen Künstlerin Hilma af Klint verglichen werden. Man kann die Visionärin von Wassily Kandinsky oder Paul Klee her lesen, mit der Art Brut oder wie der Kurator Harald Szeemann mit Marcel Duchamp in Bezug setzen. Sie selbst jedoch hat keine kunsthistorischen Referenzen hergestellt.
Eine Fotografie aus den fünfziger Jahren zeigt Emma Kunz im weissen Arbeitskittel mit Stift und Holzlineal in ihrem Arbeitszimmer, umringt von grossen und kleinen Zeichnungen an den Wänden. Vor ihr liegt ein qaudratmetergrosses Blatt auf dem Tisch. Um die Zeichenfläche des Millimeterpapiers auszuloten, soll Emma Kunz ein Pendel mit Gewichten an einer Kette zur Hand genommen haben. «Plötzlich habe sie aufgemerkt, mit grosser Eile eine Linie gesetzt und erleichtert aufgeatmet. Dies sei immer in dem Augenblick geschehen, da eine Formgestalt sichtbar vor ihr inneres Auge getreten war». So beschrieb es Heiny Widmer, Emma Kunz‘ früher Exeget anlässlich der Ausstellung Fall Emma Kunz im Aargauer Kunsthaus 1973/1974. Auf den Schwerlinien und Schwerpunkten aufbauend entstanden in äusserster Konzentration geometrisch abstrakte Strukturen. Die fein gezogenen Linien verweben sich zu Rhomben, Polygonen, Hexagonen, repetieren sich symmetrisch oder lösen einander ab.
Jede Linie wirkt dabei wie eine energetische Verbindung, wie ein Haargefäss des Lebensstroms, den Emma Kunz kartografiert. Nicht immer sind die Zeichnungen völlig abstrakt. Aus dem Netzwerk lassen sich bisweilen Figuren herauslesen. Die Urheberin schrieb dazu: «Das Wort als Wandlung (wenden), Entfaltung (entfalten); Die Zeichensprache als Symbol in Gleich und Mal: die Bildkräfte in Wesensart und Form als Kristall, Pflanze, Tier und Mensch (…) – die Wahl von zwei Zahlen miteinander verbunden und entfaltet, bestimmt die Art der Form und der Gestalt. Das ist das Geheimnis als Schlüssel zu dieser Offenbarung». Das Modellhafte der Zeichnungen von Emma Kunz schliesst Affektives aus, hält dafür Zustände grundlegend wirksamer, harmonikaler Prinzipien fest. In der Tat sind die komplexen geometrischen Strukturen Bilder, aus denen die altruistische Seherin existentielle Antworten herauslesen konnte.
Im gestalterischen Prozess ging es darum, die Bereiche des Unbekannten über Ahnung, Vision, Einklang mit dem eigenen Körper, genaues Hinhorchen auf die Natur, Hinsehen auf Gestalt und Gestaltveränderung zu erkunden. Gerne liess sich Emma Kunz aus den Schriften von Paracelsus vorlesen, der im 16. Jahrhundert eine erfahrungsbezogene, zugleich spekulativ-spirituelle Ganzheitsmedizin propagierte und die Heilkraft seelischer Imagination und Bilder betonte. Als Pendeltafeln waren ihre Zeichnungen im therapeutischen Gebrauch. Sie halfen dabei, seelische Probleme und körperliche Schwachstellen von Hilfesuchenden zu eruieren. Dabei erkannten sich Emma Kunz‘ Patientinnen und Patienten im schwingenden Rhythmus als vernetztes Abstraktum und begriffen sich als in die Schöpfung involviert. Emma Kunz wird das Diktum zugeschrieben, dass ihr Bildwerk für das 21. Jahrhundert bestimmt sei.
Im internationalen Kunstkontext hat sich das bewahrheitet, spätestens, seit der italienische Kurator Massimiliano Gioni ihre Zeichnungen 2013 an der Biennale di Venezia präsentierte. Ausserdem bezeugen zahlreiche Ausstellungen der letzten Jahre, unter anderem in München, Hongkong, London, Wien, Tel Aviv und Susch das äusserst wache Interesse an Emma Kunz, an ihrer spirituellen Vorstellungswelt und Zeichnungsmethode. Von der Ausstellung oh ! cet écho ! (1992 von Bice Curiger, Hans Ulrich Obrist und Bernard Marcadé für das Pariser Centre Culturel Suisse realisiert) bis hin zur von Yasmin Afschar kuratierten Ausstellung Kosmos Emma Kunz des Jahres 2021 im Aargauer Kunsthaus treten Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart mit Emma Kunz in Dialog – im Kräftefeld zwischen Rätsel und Lösung.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Juri Steiner, 2006, aktualisiert durch Autor 2022 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4025693
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